Sunga Weineck: Ein Klassenclown in Kafkas Labyrinth

Sunga Weineck begeistert als K. im Kresch die Zuschauer. Er ist nur über Umwege auf der Theaterbühne gelandet.

Foto: A. Bischof

Krefeld. Immer wenn es nicht recht klappen wollte mit der Schauspielerei, rief Sunga Weineck bei der Post an. Schon seine Mutter hatte dort gearbeitet, und auch er kam in schweren Zeiten stets unter. In einem alten Dominikanerkloster nahe am Kölner Hauptbahnhof sortierte er mit hunderten anderen Jobbern Briefe und Postkarten, beäugt von strengen Aufsichtsbeamten mit einer seltsamen Aura von Allmacht. Kafka hätte dieses Szenario gefallen.

20 Jahre später erlebt Weineck als rätselhaft angeklagter K. in Kafkas „Der Prozess“ seinen größten Triumph als Schauspieler. Im Kresch wird er für die Rolle bejubelt, die WZ schrieb, er trage das Stück auf seinen Schultern und lasse es lässig um sich kreisen. Für Weineck fühlt sich all das Lob wie ein Oscar an: „Das ist meine Goldmedaille, mein absoluter Höhepunkt.“

In einem Beruf, in dem große Töne zum Handwerk gehören, wirkt der 49-Jährige erstaunlich bescheiden, fast bedächtig. Das Wort Hauptrolle will er nicht hören, nicht einmal in Bezug auf K., obwohl der in jeder Szene auftritt und tonnenweise Text mit sich herumschleppt. In der Schule war Sunga Weineck zwar der Klassenclown, weil er es genoss, Leute zum Lachen zu bringen: „Aber Klassenclowns sind in der Regel alles andere als selbstbewusste Menschen.“

Noch heute, nach fast 20 Jahren als professioneller Schauspieler, hat Sunga Weineck bei jeder neuen Produktion Angst zu scheitern: „Ich gehöre nicht zu denen, die sagen: Meine Kunst ist unermesslich groß, und wenn die Zuschauer das nicht verstehen, sind sie dumm.“ Er sehnt sich nach Zuspruch, empfindet ihn gar als wichtigsten Antrieb: „Das Publikum ist der Grund, warum ich Schauspieler bin.“

Dass er den Weg einschlagen wollte, war ihm schon lange klar, eigentlich seit der Grundschule, seit die Lehrerin ihn in „Hänsel und Gretel“ besetzte. Als er Jahre später die Gesamtschule verließ, war die Bühne längst sein Lebenstraum. „Aber schon damals haben viele gesagt: Was willst du mit deiner Hautfarbe denn spielen? Den Othello?“

Auch als er sich später auf der Schauspielschule bewarb, hatte Sunga Weineck, dessen Vater aus Tansania stammte, das Gefühl, dass sein Aussehen eine Rolle spielt: „Damals war die Vorstellungskraft, wie man mich besetzen soll, noch geringer.“ Nach der ersten Absage gab er auf: „Das hat mir einen Mega-Stachel in die Brust gejagt.“

Mit dem Job bei der Post, dem Zivildienst und einer abgebrochenen Friseurlehre gingen die Jahre ins Land — bis er in der früheren Schokoladenfabrik Stollwerck, die seinerzeit von Autonomen besetzt war, die freie Gruppe Dynamic Chicken erlebte. Nach der Vorstellung fasste er sich ein Herz und sprach die Macher an: „Wenn ihr mal einen Typen wie mich braucht, meldet euch.“ Tatsächlich riefen sie kurz darauf an: „Die erste Gage lag bei 14 Mark — für zehn Vorstellungen und alle Proben.“

Dennoch war dies der Türöffner für Weinecks Weg auf die Bühne. Als er am freien Theater c. t. 201 unterkam, war die Poststelle endgültig Geschichte. „Das war mein Eintritt ins wahre Theaterleben.“ Dort lernte er, klassische Texte zu sprechen: „Meine Regisseure waren meine Schauspiellehrer.“

Wie viele Quereinsteiger hatte er es auch in den nächsten Jahren oft schwer. Ohne den festen Job seiner Verlobten Melanie wäre es nicht gegangen — zumal die beiden einen zehnjährigen Sohn haben, dem es „an nichts fehlen soll“, wie Weineck sagt. Beim „Prozess“ saß er im Publikum: „Er fand es immer schon lustig, wenn ich auf der Bühne eins auf den Deckel kriege.“

Der Tonfall, den Franz Mestre für seine Inszenierung gewählt hat, liegt Sunga Weineck, das spürt man in jeder Sekunde. Für dieses Stück hat er sich noch mehr ins Zeug gelegt als sonst, hat die „große Qual“ des Textlernens überstanden und Literatur über Kafka gelesen, obwohl „ich doch gar nicht intellektuell bin“. Dass es sich gelohnt hat, sieht man Sunga Weineck an: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass man so etwas erlebt, wenn man bei der Post arbeitet.“