Theater: Fluchtpunkt in den Bergen

Der Krefelder Hüseyin Michael Cirpici nimmt sein Publikum mit in ein Dorf in der Türkei – inklusive Live-Telefonschaltung.

Krefeld. Als die Fahrt über die holprige Piste ins Gebirge nicht enden wollte, bekam der Taxifahrer doch ein bisschen Angst. Wo wollten die beiden Männer bloß mit ihm hin? Hüseyin Michael Cirpici und Ercan Aslan wollten nach Agcasar, ein Flecken von höchstens 30 Häusern im Taurusgebirge in der Türkei, an die 2000 Meter hoch gelegen. Von Afsin aus waren sie mit dem Taxi aufgebrochen. Das war 2003, Cirpici recherchierte für sein Theaterprojekt "Das Dorf". Am Samstag, 20 Uhr, ist es im linken Seitenfoyer des Stadttheaters als Gastspiel zu sehen.

Eigentlich hatte Cirpici etwas anderes vor - ein Theaterprojekt über Migranten der ersten Generation. Dann traf er per Zufall in Berlin auf den Künstler Ercan Aslan, und der erzählte ihm von seinem Heimatdorf Agcasar. Schnell begriff Cirpici, dass dieser Ort etwas Besonderes ist, und er begann an "Das Dorf" zu arbeiten. 2004 war die Uraufführung an den Münchener Kammerspielen.

Neben verfallenen Lehmhütten findet man in Agcasar neue Steinhäuser mit Solaranlagen auf dem Dach und einen Friedhof mit luxuriösen Grabmälern. Dabei leben hier dauerhaft nur sieben Menschen. Die meisten Agcasarer und ihre Nachkommen wohnen in Berlin, London, Paris - doch sie kehren immer wieder in ihr Dorf zurück.

Agcasar wurde bereits als Fluchtpunkt gegründet. Fünf Brüder kauften es 1904 Armeniern ab. Sie stammten aus einem traditionell kurdischen Gebiet, das immer wieder von türkischen Nationalisten angegriffen wurde. Obendrein waren sie Aleviten, Angehörige einer verfolgten Minderheit. Im abgelegenen Agcasar wollten sie zur Ruhe kommen.

Mit den Migrationswellen ab Mitte des 20. Jahrhunderts leerte sich das Dorf, aber für die in der Diaspora lebenden Agcasarer ist es immer noch der Inbegriff von Heimat. Aus diesem Spannungsfeld bezieht Cirpicis Theaterprojekt seine Energie. Mit eingespielten Interviews und Videos erzählt er über Agcasar und seine Bewohner, Ercan Aslan spinnt seinen eigenen Erzählfaden mit extra für ihn geschriebenen Monologen. Höhepunkt der Performance ist eine Live-Telefonschaltung von Krefeld nach Agcasar, auch das Publikum kann dann Fragen an einen Dorfbewohner richten.