Theater-Intendant Pesel: "Eine Stadt lebt buchstäblich von der Kultur"

Im Interview spricht der Krefelder Generalintendant Jens Pesel über die Theatersanierung, das TAZ und seine Zeit nach Krefeld.

Frage: Herr Pesel, in Krefeld haben Sie gerade einen Theater-Umzug hinter sich. Nächstes Jahr geht es zurück, gleichzeitig ist Mönchengladbach mit dem Umzug an der Reihe. Haben Sie sich schon mal gefragt, warum Sie sich das zwei Jahre vor dem Ruhestand noch antun?

Jens Pesel: Wir tun das ja nicht freiwillig. Als ich vor zwölf Jahren hierher kam, gab es schon Sanierungspläne und Prioritätenlisten. Auf denen stand, welche Maßnahmen unbedingt in nächster Zeit umgesetzt werden müssen.

Pesel: Das ging von der Sanierung der Toiletten bis zur neuen Untermaschinerie, von den Leitungen bis zur Bestuhlung der Zuschauerraums. Das war eine unglaublich lange Liste, und nur sehr wenig davon ist in den Jahren abgearbeitet worden.

Pesel: Je früher man so etwas anpackt, desto kostengünstiger ist es. Das sage ich seit zwölf Jahren jedem Kämmerer. Aber die Kämmerer meinen immer, man könne das noch hinauszögern. Dass das unökonomisch ist, wissen sie vielleicht. Aber die Finanzlage lasse es eben nicht anders zu, hieß es. Irgendwann bekamen wir dann massive Beschwerden von Zuschauern, und die Ordnungsbehörden haben gedroht, uns wegen mangelnden Brandschutzes die Hütte zuzumachen.

Pesel: Das Problem ist, dass nun alles so teuer wird, dass für Dinge, die wir Theaterleute für dringend nötig halten, kein Geld mehr übrig bleibt. Damit meine ich zum Beispiel die Erneuerung der Untermaschinerie. Dafür wurde sogar ein teures Gutachten erstellt.

Pesel: Definitiv. Es ist zu befürchten, dass das Haus in einigen Jahren wieder geschlossen werden muss, weil die Untermaschinerie nicht mehr zu reparieren ist. Es handelt sich hier noch um die Erstausstattung aus den sechziger Jahren. Die Maschine genügt nicht mehr den heutigen Anforderungen.

Pesel: Als sehr, sehr frustrierend. Dinge, die man jetzt nicht mit erledigt, werden in ein paar Jahren deutlich teurer. Wer heute den Kopf in den Sand steckt, wird morgen mit den Zähnen knirschen.

Pesel: Für den gesamten Service-Bereich, denn damit stehen wir ganz hinten an. Der Service, den wir bieten - von der Kassensituation über die Toiletten bis zur Theke für die Gastronomie -, ist unsagbar schlecht. Wenn die Leute nach der Sanierung das Theater wieder betreten, sollten sie in diesem Punkt eigentlich einen grundlegenden Unterschied erkennen können.

Pesel: Danach sieht es im Moment aus. Ich bin nicht sehr optimistisch.

Pesel: Der Theatervertrag sieht vor, dass die Stadt ein spielfertiges Haus zur Verfügung stellt. Stattdessen habe ich mich selbst nach einem Ersatzquartier umgesehen, habe über ein großes Zelt nachgedacht und bin schließlich auf die SWK-Halle gestoßen. Dann habe ich Gespräche mit dem SWK-Vorstand und SWK kompakt geführt. Bei der Stadt haben die Entscheidungsprozesse sehr lange gedauert. Dabei gab es gar keine Alternative - den Vorschlag, im Seidenweberhaus aufzutreten, habe ich als zynischen Witz empfunden. Parallel zur schwierigen Entscheidungsfindung mussten wir die Spielzeit planen, ohne zu wissen, wo wir landen. Das war ein sehr mühevolles Hin und Her.

Krefeld investiert 7,5 Millionen Euro in ein neues Theater. Könnten Sie es verstehen, wenn die Stadt Ihre Kritik als undankbar empfindet

Pesel: Sie müssen das nicht den Intendanten fragen, sondern das Publikum. Denn wir machen das Theater nicht für uns, sondern für die Zuschauer. Die müssen Sie fragen, ob sie ein Jahr lang auf Theater verzichten wollen. Ob sie ein Jahr lang Theater in einer Behelfssituation erleben möchten oder lieber Theater von einem gewissen Standard. Ich war immer der Meinung, wir sollten für das Publikum in dieser Region Theater machen - und nicht für uns selber. Und ich glaube, dass die Stadt auch ganz wesentlich davon lebt.

Kultur als weicher Standortfaktor?

Pesel: Nicht nur das, das ist mir zu allgemein. Natürlich hängt die Lebensqualität in einer Stadt vom kulturellen Angebot ab. Das mögen Einzelne anders sehen, aber ich denke, der überwiegende Teil der Menschen sieht es so. Ich meine das aber auch ganz konkret wirtschaftlich. Theater verbraucht ja nicht nur viel Geld, sondern bringt auch viel. Ganz große Teile dessen, was als Zuwendung ans Theater fließt, geht an die Stadt zurück. Wir beschäftigen insgesamt fast 500 Lohnsteuerzahler, die auch Verbraucher und Mieter sind. Außerdem vergeben wir eine Menge Aufträge an Firmen aus der Region. Wir stehen mitten im Wirtschaftskreislauf. Das heißt: Eine Stadt lebt auch buchstäblich von der Kultur, ganz abgesehen vom Wohlfühlfaktor.

Sehen Sie dennoch Möglichkeiten, auf der Einnahmenseite was zu tun?

Pesel: Ja. Wenn man den Servicebereich des Theaters verbessert, den Theaterplatz aufwertet und die Synergieeffekte durch die Mediothek nutzt, sehe ich auch betriebswirtschaftlich noch Potenzial.

Nun liegt zunächst ein ungewöhnliches Jahr vor Ihnen. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen im Theater auf Zeit?

Pesel: Da gibt es viele Fragen, deren Antwort sich erst in der Praxis erweisen wird und die uns in große Spannung versetzen. Thema Akustik: Da sind die Fachleute sehr optimistisch gewesen - und offenbar zurecht. Das Orchester klang schon ganz gut. Aber wie wird es sein, wenn das Haus vollständig besetzt ist? Auch andere Abläufe lassen sich erst im Praxistest ausprobieren. Das ist eine Herausforderung an unsere Nerven und an die Geduld der Mitarbeiter.

Wird das Publikum den Weg mitgehen? Schließlich mussten Sie Anfang Juni mehrere hundert Abo-Kündigungen vermelden.

Pesel: Wir müssen das Publikum neugierig machen und dazu überreden, einen völlig unbekannten Spielort kennen zu lernen. Das ist auch teilweise schon gelungen, denn wir haben viele Anfragen. Manche Vorstellungen sind jetzt schon ausverkauft, obwohl wir sie nicht einmal geprobt haben. Über die Zahlen waren wir Anfang Juni etwas erschrocken. Aber ich habe den Eindruck, der Trend hat sich gedreht.

Kann im TaZ auch im künstlerischen Sinne etwas Besonderes entstehen?

Pesel: Ich denke schon. Es gibt im TaZ keine Versenkungen, keine Züge. Verwandlungen können nur in der Horizontale stattfinden. Das ist schwierig, das haben wir schon bei den ersten Proben für "Jesus Christ Superstar" und "Shockheaded Peter" gesehen. Dennoch - oder vielleicht gerade deswegen - haben solche Spielstätten etwas Vitalisierendes für Theatermacher. Vor allem der kleine Saal hat eine Größe, wie wir ihn für das Schauspiel immer gern gehabt hätten. Dort ist der Kontakt zwischen Bühne und Publikum erheblich intensiver als im Theater. Die Schauspieler haben sofort gespürt, dass ganz andere Intensitäten entstehen werden. Ein Stück wie "Johnny Cash - The Beast in Me" wird man dort sehr gut herüberbringen können

Was sind Ihre eigenen Pläne für die Zeit nach 2010?

Pesel: Ich werde die Funktion des Intendanten nicht weiter ausüben, aber natürlich künstlerisch tätig sein. In Krefeld werde ich nicht wohnen bleiben, sondern wahrscheinlich nach Hamburg umsiedeln.

Was möchten Sie bis dahin unbedingt noch umsetzen?

Pesel: Es gibt noch sehr viel zu tun. Was ich als Regisseur noch gerne umsetzen würde, wird mir wohl nicht vergönnt sein. Denn der Rück-Umzug in Krefeld und der Umzug in Mönchengladbach werden sehr viel Organisation, Planung und Präsenz verlangen. Dafür möchte ich zur Verfügung stehen und mich nicht selbst blockieren. Das ist ein bisschen bitter, weil ich mich in erster Linie als Künstler verstehe. Aber es gibt Notwendigkeiten, denen ich folgen muss. Ich mache hier viele Dinge, die ich nicht machen müsste. Aber ich mache sie, weil ich in der Öffentlichkeit mit dem Theater identifiziert werde. Und ich könnte nicht ruhig schlafen, wenn ich nicht das Gefühl hätte: Es ist an alles gedacht worden, und wir können dem Publikum die Leistung bieten, die es verdient hat.