Serie Vor 125 Jahren geboren: Fritz Huhnen
Krefeld · Serie Stadtarchiv-Direktor Olaf Richter widmet sich dem Leben und Werk des Krefelders. Ergänzt durch Anekdoten von Sybille Forster-Rentmeister. Erster Teil: Lebensstationen.
Vor 55 Jahren, am 24. Dezember 1965, erschien in dieser Zeitung ein Artikel mit dem Titel „Maler, Philosoph und Lebenskünstler – Am zweiten Weihnachtstag wird der wohl bekannteste Krefelder, Fritz Huhnen, 70 Jahre alt“. Die Bemerkung über die Popularität Huhnens dürfte nicht übertrieben gewesen sein, wie schon ein Schreiben aus dem Jahr 1951 beweist, das sich in seinem im Krefelder Stadtarchiv aufbewahrten Nachlass befindet: Der Brief war lediglich an „Herrn Theatermaler Fritz Huhnen Krefeld“ adressiert und gelangte dennoch sicher an.
Wer war Fritz Huhnen?
Wer war also Fritz Huhnen? – jene Persönlichkeit, die das Krefeld des vergangenen Jahrhunderts prägte und damit zum unverwechselbaren Charakter unserer Stadt beitrug, wie solches nur wenige andere Personen vermochten, sieht man einmal von strukturellen Einflüssen wie Architektur oder der ökonomischen Entwicklung ab.
Zum einen war Fritz Huhnen der am Stadttheater seit den 1920er Jahren beschäftigte Bühnenbildner, der eine ausdrucksstarke, oftmals geradezu psychologische Sicht auf das Bühnengeschehen zu eröffnen vermochte. Dann war er der Maler, der über einen unerschöpflichen Formenreichtum verfügte und seinem Werk durch Farbe, kräftige Linienführung und seine dynamische Darstellung eine unverwechselbare Wirkung verlieh. Es gelang ihm, den Betrachter geradezu in das Bild zu ziehen. Er führte vom Sichtbaren ins Unsichtbare, in tiefe, nicht selten verstörende Seelenschichten. Fritz Huhnen war auch der journalistische Zeichner, der seine kurzweiligen Text- und Bildergeschichten über das Krefelder Stadtgeschehen treffend und mit Witz über viele Jahrzehnte in jeder Samstagsausgabe der WZ darbot. Und er war nicht zuletzt der Schriftsteller und brillante Erzähler, der mit seinem Buch „Gute, Böse, und Krefelder“ seine Heimatstadt in einem liebevollen Charakterbild schilderte, ganz ohne dokumentarische Fakten.
Diesen Aspekten will die kleine Serie ab heute und in drei folgenden Ausgaben nachgehen und Fritz Huhnens künstlerisches Schaffen in Literatur, Malerei und Bühnenbild beschreiben, beginnend mit einem Rückblick auf seine Lebensstationen. Aus ganz persönlichem Blickwinkel ergänzt werden die Beiträge durch Kolumnen von Sybille Forster-Rentmeister. Der Autor knüpfte den Kontakt zu der heute in Toronto lebenden Zeitzeugin bei den Recherchen für eine im nächsten Jahr erscheinende Biografie Huhnens.
26. Dezember 1895
Friedrich Wilhelm Huhnen wurde in Krefeld als ältestes von vier Kindern eines aus Tönisberg bzw. Königswinter zugezogenen Ehepaares geboren. Seine Eltern betrieben in ihrem Haus auf der Lindenstraße Nr. 41 – heute ein recht heruntergekommenes und seit Jahren leerstehendes Gebäude – ein gut laufendes Bäckereigeschäft. Das zeichnerische Talent des kleinen Fritz fiel bereits seinem Lehrer in der Volksschule auf der Südstraße auf. Ganz gekonnt hatte der Sechsjährige einen Martinszug auf seine Schiefertafel gezeichnet. Im Jahr 1905 schickten ihn die Eltern für ein knappes Jahr zu Verwandten nach Bonn, wo er auf ein Gymnasium wechselte. Seinen alles in allem wenig erfolgreichen Schulbesuch setzte er nach der Rückkehr in Krefeld auf dem damals einzigen humanistischen Gymnasium fort, dem heutigen Hannah-Arendt-Gymnasium. Die Schullaufbahn endete jedoch abrupt in der Obertertia. Wegen angeblich schlechten Benehmens wurde der 15-Jährige entlassen – dahinter verbargen sich nächtliche Ausflüge in Lokale der Krefelder „Unterwelt“, mit welchen Erlebnissen er später immer wieder kokettierte.
Nun sollte etwas Bodenständiges aus ihm werden. So begann Fritz Huhnen 1911 auf Wunsch seiner Eltern eine Architekten- bzw. Baumeisterlehre bei der Firma „Gebrüder August und Johann Koch“, die einige Jahre zuvor die Anna-Kirche im Inrath und die Dresdner Bank auf dem Ostwall gebaut hatte. Aber nach nur anderthalb Jahren brach er aus mangelndem Interesse die Lehre ab. Sicher, die Eltern waren verstimmt, zumal er fortan die Krefelder Kunstgewerbeschule, die spätere Werkkunstschule, besuchte und dem Bäckerehepaar das ihrem Gewerbe entgegenstehende Bild einer „brotlosen Kunst“ vor Augen führte. Seit 1915 arbeitete Fritz Huhnen jedenfalls als freier Maler in seiner Heimatstadt.
Der Erste Weltkrieg
Nach einer Verwundung bei Verdun wurde Huhnen als Bühnenmaler im sogenannten Westfrontheater im ostfranzösischen Montmédy bzw. als „Kriegsmaler“ in Berjosa (heute Weißrussland) eingesetzt. Er wirkte bei verschiedenen Aufführungen als Bühnenmaler, Sänger und auch als Darsteller mit.
Nach Kriegsende verfolgte er zunächst seine künstlerische Karriere weiter, die ganz dem Expressionismus verpflichtet war, dessen Facetten derzeit in höchster Ausprägung standen. 1919 wurde seine erste Ausstellung in der Buch- und Kunsthandlung Greven auf der Hochstraße präsentiert. Wie Heinrich Nauen, Otto Pankok, Ewald Materé und Helmut Macke wurde Fritz Huhnen Mitglied der progressiven Künstlervereinigung „Junges Rheinland“. Bald trat er auch dem 1921 von den Seidenfabrikanten Rudolf Oetker und Hermann Lange gegründeten avantgardistischen Krefelder „Verein für Neue Kunst“ bei. Mit seinen Künstlerkollegen traf er sich im Lokal Karrenberg auf der Lindenstraße zu „Onkel Maxens Tafelrunde“. Das waren neben Nauen vor allem Heinrich Campendonk, Johan Thorn-Prikker und der Direktor des Kaiser-Wilhelm-Museums, Max Creutz, dem Namensgeber des fröhlichen Beisammenseins.
Bühnenbildner am Stadttheater
Erst Mitte der 1920er Jahre begann Huhnens eigentliche Berufslaufbahn. Er wurde als Bühnenbildner am Stadttheater Krefeld eingestellt, das sich damals auf der Rheinstraße befand. Hier war er bereits als Schüler regelmäßiger Gast gewesen. Stets hatte er ein billiges Billett für einen Stehplatz auf der Galerie erstanden. Sein erstes Bühnenbild schuf er im Jahr 1924 für die Uraufführung des Schauspiels „Kolportage“ von Georg Kaiser, ein expressionistischer Dramatiker und Gesellschaftskritiker, dessen Stücke neben denen von Gerhard Hauptmann und Bert Brecht während der Weimarer Republik zu den meistgespielten auf deutschen Bühnen zählten. Vordergründig als Unterhaltung konzipiert, ging es um die Vision einer Aussöhnung sich entfremdender Gesellschaftsschichten.
Seit 1926 auch Pressezeichner
Über Jahrzehnte, nämlich von 1926 bis 1973, arbeitete er als Pressezeichner; zunächst für den in Krefeld erscheinenden „General-Anzeiger“, der seit 1934 in Krefeld als „Westdeutsche Zeitung“ fortgesetzt wurde. Seine wöchentlich mit Text erschienenen Bildergeschichten heben sich als eigenständige, von pointierten Texten begleiteten künstlerische Schöpfungen von ähnlichen Zeitungsgeschichten ab.
Zwei Jahre nachdem das Kaiser-Wilhelm-Museum (KWM) erstmals Werke von ihm angekauft hatte, schuf Huhnen 1932 die beiden Wandbilder „Musik“ und „Wein“ im Stil des französischen Nach-Kubismus für die „Bosi-Bar“ – das war die berühmte „bombensichere Bar“ im Keller des Krefelder Varieté „Seidenfaden“ auf dem Ostwall. Der Färbereibesitzer Fritz Kress hatte dieses Programmtheater eröffnet, um die Internationalität der Seidenstadt zu unterstreichen. Fünf Jahre später, 1937, wurden einzelne Bilder Huhnens, die das KWM zuvor erworben hatte, auf der kunstpolitischen Ausstellung „Entartete Kunst“ in München zur diffamierenden Schau gestellt. Bei aller politischen und weltanschaulichen Distanz verfügte Huhnen aufgrund seiner Prominenz durchaus über Kontakte zur lokalen nationalsozialistischen Führung. 1935 akzeptierten ihn die NS-Machthaber als Karnevalsprinzen. Er war der erste Prinz, der eine Prinzessin an seiner Seite erwählte: Lilo Lange, die Tochter Hermann Langes.
Zerstörungen 1943
Bei dem großen Luftangriff auf Krefeld im Juni 1943, bei dem auch das Theater auf der Rheinstraße und Huhnens Wohnung vollständig zerstört wurden, verlor er sein gesamtes damaliges künstlerisches Werk. Mit dem Theaterensemble übersiedelte Huhnen darauf für ein halbes Jahr nach Hirschberg in Schlesien (heute Jelenia Góra in Polen). Nach der Rückkehr zum Militärdienst verpflichtet, kam er noch kurz vor Kriegsende in britische Kriegsgefangenschaft. Nach dem Krieg konzentrierte sich Fritz Huhnen, obschon er am Wiederaufbau des Theaters mitwirkte, zunächst vorwiegend auf sein malerisches Schaffen. 1947 wurde er Mitglied der Münchener Künstlervereinigung „Neue Gruppe“. Als bildender Künstler war er bis in die späten 1970er Jahre in Krefeld wie am Niederrhein und darüber im gesamten Rheinland oder auch in den Niederlanden auf Ausstellungen vertreten.
„Gute, Böse, und Krefelder“
Es war das Jahr 1955, als Huhnen mit dem bis heute viermal aufgelegten Buch „Gute, Böse, und Krefelder“ hervortrat. Darin schilderte er seine Vaterstadt während des ausgehenden 19. bis ins frühe 20. Jahrhundert auf hohem literarischen Niveau, zugleich humorvoll und in vielen liebevollen Details. Sechs Jahre später erhielt er die Thorn-Prikker-Ehrenplakette, die höchste Auszeichnung, welche die Stadt ihren Kunstschaffenden verliehen hat. Weitere Auszeichnungen folgten, so u. a. 1965 zum 70. Geburtstag als erster Träger die städtische Ehrenplakette.
Auch nach seiner offiziellen Pensionierung arbeitete Huhnen weiterhin am Theater als künstlerischer Ratgeber. Daneben gestaltete er regelmäßig Prunkwagen und Sonderzeitungen für den Rosenmontagszug. Außerhalb seiner Heimatstadt war er in den 1970er Jahren an der Gestaltung der Revue „Rauf und Runter“ beteiligt, die sein Freund Friedrich Hollaender, der berühmte Tonfilmkomponist (etwa des „Blauen Engel“ von 1930), in München veranstaltete.
Fritz Huhnen starb am 15. Dezember 1981 in Willich. Die Begräbnisfeier fand in der Kirche St. Dionysius unter Beteiligung hunderter Trauergäste statt. Er, an den heute die Fritz-Huhnen-Straße im Bismarckviertel erinnert, ist in einem Ehrengrab auf dem neuen Teil des Krefelder Hauptfriedhofs beigesetzt.