Krefeld „Torhüter werden jetzt zu Angreifern“
Die Handballer starten mit neuen Regeln in die Saison. Schiedsrichter Thorsten Zimmermann erklärt die wichtigsten.
Krefeld. Noch zwei Tage bis zum Saisonstart der Handballer in den unteren Ligen, die mit neuen Spielregeln konfrontiert werden. Was bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro (Brasilien) schon live zu sehen war, gilt nun auch bis hinunter in die Kreisligen. Doch die Verunsicherung bei Spielern und Fans ist groß. Was gilt, wann und was nicht? Thorsten Zimmermann ist Regelexperte. Der 31-Jährige ist Vorsitzender der Handball-Abteilung des TV Vorst und pfeift in der 3. Liga — mit Marcel Brückner seit fünf Jahren als Duo. Bis vor gut einem Jahr war er selbst als Spieler aktiv, stieg mit Vorst in die Oberliga auf, nach zwei Jahren wieder ab.
Die neuen Handballregeln sind seit dem 1. Juli gültig, wie wurden Sie auf die Umstellung vorbereitet?
Thorsten Zimmermann: In der Sommerpause machen alle Schiedsrichter turnusgemäß einen Vorbereitungslehrgang, in dem die Regeltechnik besprochen wird und Veränderungen vorgestellt werden. Wir wurden mit Videos auf die Änderungen eingestimmt. Die neuen Regeln wurden international schon weit vor den Olympischen Spielen erprobt, das Videomaterial war sehr aussagekräftig.
Und die neuen Regeln gelten nun von der Bundesliga bis in die Kreisliga?
Zimmermann: Alle neuen Regeln finden ihre Anwendung mit einer Ausnahme, die der Weißen Karte. Im Handballkreis Krefeld Grenzland und am Niederrhein wird sie nicht eingesetzt — aber bis zur 3. Liga. Die Weiße Karte wird auf dem Tisch des Kampfgerichts aufgestellt, wenn ein Spieler sich verletzt hat und auf dem Spielfeld behandelt worden ist. Er muss dann das Spielfeld verlassen und darf erst drei Angriffe später auf das Feld zurück, es sei denn eine progressive Strafe geht mit einher — wenn also ein Spieler zum Beispiel eine Zweiminutenstrafe erhält. Diese Regel soll Verzögerungen verhindern. Die Entscheidung wird vom Kampfgericht überprüft, nicht von den Schiedsrichtern.
Im Handball zieht das Farbenspiel ein. Nun gibt es nach weiß, gelb, grün und rot noch die Blaue Karte?
Zimmermann: Diese Karte wurde eingeführt, um eine bereits bestehende Regel für alle Beteiligten zu verdeutlichen. Wenn ein Spieler wegen einer groben Regelwidrigkeit, welche durch die Schiedsrichter als besonders arglistig, rücksichtslos oder vorsätzlich eingestuft wird, per Roter Karte des Feldes verwiesen wird, folgt dieser Entscheidung immer ein Eintrag in den Spielbericht und eine Spielsperre. Für die Fans blieb die Entscheidung ohne Blaue Karte bisher ein Rätsel, sie bringt mehr Transparenz.
Bislang galten Sonderregeln für die letzten 60 Sekunden eines Spiels. Das Zeitfenster ist jetzt auf 30 Sekunden verkürzt worden?
Zimmermann: In den letzten 60 Sekunden kann noch zu viel passieren, darum die Verkürzung. Wenn ein Abwehrspieler in den letzten 30 Sekunden eines Spiels die schnelle Ausführung eines An-, Ein- oder Freiwurfes verhindert, erhält er die Rote Karte und die angreifende Mannschaft einen Siebenmeter. Das Gleiche gilt für grobe Regelwidrigkeiten.
Torhüter tauchen plötzlich in Torschützenlisten auf, nicht selten genug wird mit Erfolg versucht, das leere Tor zu treffen. Manche Teams spielen im Angriff mit sieben Feldspielern statt sechs plus Torwart?
Zimmermann: Wie bisher kann eine Mannschaft einen siebten Feldspieler für den Torwart einsetzen. Dies konnte bisher nur mit einem farbigen Leibchen verdeutlicht werden, was nun nicht nötig ist. Der Vorteil für die Mannschaft besteht darin, dass jeder Feldspieler den erneuten Wechsel mit dem Torwart vollziehen kann, wenn der Angriff gespielt wird. Bei einem Fehlpass kann es passieren, dass die Auswechslung nicht schnell genug erfolgt. So kommt es immer zu Versuchen des Torwarts oder eines Spielers aus der eigenen Hälfte, ein Tor zu erzielen.
Die letzte Regel betrifft das passive Spiel, wenn also Teams versuchen, das Spiel zu verzögern. Was ist neu?
Zimmermann: Diese Regel wurde modifiziert, bleibt aber eine Tatsachenentscheidung und im Ermessensspielraum der Schiedsrichter. Wenn ein Team keinen Angriffsdruck ausübt und die Schiedsrichter die Hand heben, um das passive Spiel anzuzeigen, hat das Team nun maximal sechs Pässe Zeit, um abzuschließen. Die Schiedsrichter können aber schon nach drei Pässen abpfeifen, sofern kein ausreichender Druck erzeugt wird. Das ist vielen nicht bekannt. Daneben gibt es noch einige Sonderregelungen, die definieren, wann ein Pass vollständig ausgeführt ist oder dass zum Beispiel bei einem Freiwurf nach dem bereits erfolgten sechsten Pass ein Zusatzpass zur Ausführung des Wurfs erlaubt ist.
Wie sieht ihr Fazit aus?
Zimmermann: Neue Regeln bringen immer erst einmal Unruhe und werfen viele Fragen auf. Wichtig ist nur die Frage, ob sie das Spiel vereinfachen oder komplizierter machen und ob sie für die Zuschauer, Trainer, Spieler und die Schiedsrichter nachvollziehbar sind. Das wird die Praxis zeigen. Fragen sie mich noch einmal in einem halben Jahr, dann sind wir Handballer alle schlauer.