Diskussion in Krefelds Schulen Mobbing in der Schule: Die Angst vor dem nächsten Tag
Eine US-Serie wird kontrovers diskutiert. Sie erzählt von Ausgrenzung und Gewalt im Schulalltag. Krefelder Schüler erzählen von ihren Erlebnissen.
Krefeld. Der erste Kuss, damit fängt alles an. Am nächsten Tag macht ein Foto vom selben, so perfekten Abend bei Whatsapp die Runde. Es zeigt sie lachend, in peinlicher Pose beim Rutschen. Die anderen in der Schule machen sich lustig darüber, tuscheln — für Hannah ist es der Anfang vom Ende.
Kaum eine Serie wird momentan so kontrovers diskutiert wie „Tote Mädchen lügen nicht“ (englischer Titel „13 Reasons Why“). In 13 Folgen erzählt der US-Streaming-Dienst Netflix die Geschichte der 17-jährigen Schülerin Hannah Baker. Es ist eine traurige Geschichte von Ausgrenzung und Beleidigungen, vielen Enttäuschungen, auch von körperlicher und sexueller Gewalt — deren entsetzlichen Höhepunkt der Zuschauer bereits am Anfang kennt: Am Ende ist Hannah Baker tot. Die 13 Gründe für ihren Selbstmord hat die 17-Jährige auf Band gesprochen. Auf 13 Kassetten erhebt sie in 13 Episoden schwere Vorwürfe gegen ihre Mitschüler und Lehrer.
„Tote Mädchen lügen nicht“ greift ein Thema auf, das aktueller nicht sein könnte — das macht die in der vergangenen Woche veröffentlichte Pisa-Studie der OECD mit erschreckenden Zahlen deutlich: Danach wird jeder sechste 15-jährige Schüler in Deutschland Opfer von Mobbing. Während Gesundheitsbehörden weltweit vor allem Jugendliche davor warnen, sich die Serie anzuschauen, weil sie am Ende den Selbstmord von Hannah Baker zeigt, sind viele Schüler davon tief betroffen und bewegt. Die WZ hat mit einigen gesprochen.
Ein bisschen Hannah Baker ist wohl jeder der acht Uerdinger Schüler, die da im Büro von Schulleiterin Anja Rinnen im Gymnasium am Stadtpark sitzen. „Mindestens einen der 13 Gründe kennt jeder von uns — deshalb geht uns die Serie auch so nah“, sagt Mala. Ja, auch an ihrer Schule werde „massiv gemobbt“, da sind sich alle einig. Geschichten können die meisten aus eigener Erfahrung erzählen — und tun das mit bemerkenswerter Offenheit. Von den blöden Sprüchen der Jungs etwa, wenn die in der achten Klasse registrieren, dass man vom Mädchen langsam zur Frau wird. „Da wollte ich mich am liebsten verstecken, ich habe mich in meinem eigenen Körper nicht mehr wohl gefühlt“, erinnert sich die 17-jährige Mala. Über Ronja haben ihre Mitschüler sogar ein Lied voller Gemeinheiten geschrieben und es ihr in der Schule vorgesungen. „Man fühlt sich total hilflos, alleine und ausgegrenzt. Man weiß nicht mehr, wem man noch vertrauen kann — und sucht irgendwann die Schuld bei sich“, sagt die 17-Jährige.
Verena (18) wurde an ihrer alten Schule so lange gemobbt, bis sie es nicht mehr aushielt. Ihre Mutter habe ihre Probleme immer ernst genommen und sie unterstützt, am Gymnasium am Stadtpark hat Verena heute neue Freunde gefunden. Sie sagt: „Wenn man jemanden hat, der zu einem hält, dann kann man das viel besser überstehen.“ Aber Selbstmord? Nein, daran hat noch keiner der Schüler gedacht. „Aber man beschäftigt sich schon mit der Frage: ,Wie wäre es, wenn ich nicht mehr da wäre? Wen würde es überhaupt interessieren?!“, sagt Emma (16).
Hannah Baker, die Hauptfigur in „Tote Mädchen lügen nicht“, sieht irgendwann keinen anderen Weg mehr aus ihrer Verzweiflung. Ihre stummen Schreie nach Hilfe, haben weder Mitschüler noch Lehrer gehört. „Ich finde es gut, dass die Produzenten der Serie aus ihrem Selbstmord nichts Schönes, Romantisches gemacht haben“, sagt Ronja. „Stattdessen haben sie ihn in seiner ganzen Echtheit und Grausamkeit gezeigt“, findet Verena. Beim Thema Mobbing sehen die Uerdinger Schüler ihre Lehrer in der Pflicht: „Sie müssen noch mehr darauf achten, was in ihren Klassen abgeht, ob Schüler im Unterricht schlechter werden. Das kann man nicht immer aufs Lernen schieben, meistens steckt doch mehr dahinter“, glaubt Mala während Tim (18) Verständnis äußert: „Ganz viele Lehrer sind überfordert damit. Die müssen besser geschult werden, um Mobbing zu erkennen.“