Beutekunst Stoff für eine Kriminalgeschichte

Krefeld · Das Textilmuseum beleuchtet in einem Buch den Erwerb der Trachten-Sammlung von Paul Schrött in der NS-Zeit.

Annette Schieck und Dirk Senger stellen das von ihnen herausgebrachte Buch im Textilmuseum vor.

Foto: Andreas Bischof

Es ist der historische Stoff zu einer richtigen Kriminalgeschichte, den Annette Schieck und Dirk Senger jetzt präsentieren. Die Leiterin des Deutschen Textilmuseums Krefeld (DTK) und der Krefelder Historiker haben nicht nur die Artikel von Rednern einer internationalen Tagung zum Erwerb von Textilien in der NS-Zeit in einem Buch zusammengefasst, sondern auch die Ergebnisse ihrer eigenen Forschung und der von Kuratorin Uta-Christiane Bergemann zur Krefelder Sammlung Paul Prött. Ein unerwarteter Aktenfund auf dem Dachboden des Museums im vergangenen Februar beleuchtet die Verbindung von Prött zu Krefelder NS-Größen in einem präziseren Licht und lässt langsam ein Netzwerk von Akteuren erkennen, die gezielt Textilien für Sammler bis hin zu Adolf Hitler und Hermann Göring, aber auch für deutsche Museen „gekauft“ haben.

Antworten nach der Herkunft der Trachtensammlung gesucht

Sind die Stücke rechtmäßig erworben oder nicht? Wer hat was von wem gekauft? Sind einzelne Textilien jüdischen Bürgern geraubt worden oder sind sie von ihnen aus Not für eine mögliche Flucht verkauft worden? Und wie hat ein mittelloser Künstler und Grafiker wie Paul Prött, der laut Schilderungen von Käufern Anfang der 1940er Jahre in einer wie einer Höhle anmutenden Wohnung lebte, eine Trachten-Sammlung mit zirka 1000 Objekten erwerben können, die heute einen Wert von gut zwei Millionen Euro hat. Fragen, die Schieck und Senger immer weiter noch nachgehen. Der 1943 amtierende Leiter der Krefelder Höheren Fachschule für Textilindustrie, Walter Wagner, hatte sie für etwa 120 000 Reichsmark für die Gewebesammlung damals erworben und nach Krefeld geholt. „Einen offiziellen Kaufvertrag gibt es nicht“, sagt Senger, aber der im Frühjahr überraschend aufgetauchte bislang unbekannte Schriftverkehr legt das wie auch die Verbindungen zwischen den Protagonisten nahe.

Die Sammlung aus dem Bestand des Textilmuseums hat 75 Jahre im Depot geschlummert, ein Konvolut von Kleidung, Kopfbedeckungen und Schmuck aus der Zeit des 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert. Die jüngste Ausstellung unter dem Titel „Tracht oder Mode – Die europäische Sammlung Paul Prött“ ist ein Erfolg für das Haus gewesen. Über 5000 Besucher haben sie während der Ausstellungszeit in Linn gesehen. Erstmals sind dort rund 270 von insgesamt mehr als 560 Objekten des im vergangenen Jahr wissenschaftlich untersuchten Bestands der Sammlung Paul Prött präsentiert worden.

Herkunftsforschung gewinnt seit Gurlitt-Fall an Bedeutung

Die Sammlung Prött wurde 1943 an die Gewebesammlung (Vorgänger des Textilmuseums) für heute umgerechnet zwei Millionen Euro verkauft. „Die Zahl 1943 hat uns aufhorchen lassen“, erzählt Schieck über die Anfänge der Forschungen. „Waren die Kleidungsstücke Menschen vor 1943 vom Leib gezogen worden oder stammten sie aus Sammlungen?“, sei die erste Frage gewesen, die sich Schieck und ihre Stellvertreterin Isa Fleischmann-Heck stellt. „Unsere Erkenntnis lautet: Das meiste hat schon musealen Status“, kann Schieck heute sagen.

Vor allem Uta-Christiane Bergemann hat im Rahmen einer einjährigen Forschungsarbeit, die von der Kulturstiftung der Sparkasse Krefeld im Rahmen der Projektreihe „Ans Licht“ gefördert wurde, im wahrsten Sinne des Wortes Licht ins Dunkel der textilen Erwerbungen gebracht. Zwei Listen mit verzeichneten Gegenständen, der Name Prött und die Jahreszahl 1943 waren das dürftige Ausgangsmaterial für die Forschungsarbeit. „Es war spannend und es stellten sich viele Fragen, die nicht alle beantwortet werden konnten“, sagte Bergemann im vergangenen Dezember bei der Vorstellung des erarbeiteten, 430 Seiten umfassenden Katalogs „Tracht oder Mode“. „Wir sind das erste Museum in Deutschland, das sich in der Provenienzforschung (übersetzt: Herkunftsforschung) so umfangreich ausschließlich mit Textilien beschäftigt“, sagt Schieck und verweist gleichzeitig auf den noch jungen Forschungszweig. Seit dem bekanntgewordenen Fall des Kunstsammlers Cornelius Gurlitt im Jahr 2012 hat die Provenienzforschung in Deutschland einen Schub bekommen. „Aber ob wir jemals alles auflösen können, ist fraglich.“

Im Rahmen einer internationalen Tagung im Jahr 2018 in Krefeld ist das Thema vertieft worden. Zeitgleich mit der Redaktionsarbeit für das jetzt erscheinende Buch „Textile Erwerbungen und Sammlungsstrategien europäischer Museen in der NS-Zeit“, mit den Beiträgen der Tagungs-Redner, ist im Februar im Museum eine Akte mit Schriftverkehr aus dem Jahr 1963 aufgetaucht. Darin bietet der inzwischen 83 Jahre alte Prött dem Textilmuseum seine neue, nach dem Zweiten Weltkrieg gewachsene Trachten-Sammlung an. Aufgekauft worden ist sie nicht. Dafür tauchen aber nun erstmals Namen mit Krefelder Bezug auf, die auch bei dem Verkauf 1943 eine große Rolle gespielt haben. Ein weiteres Kapitel Krefelder NS-Geschichte.