Geschichte 430 Seiten für einen Schatz

Krefeld · Alles, was die Forscher zu der mysteriösen Person Paul Prött herausfinden konnten, steht im neuen Katalog.

Haben sich auf die Spuren von Paul Prött begeben (v.l.): Isa Fleischmann-Heck, stellvertretende Museumsleiterin, Uta-Christiane Bergemann und Annette Schieck, Leiterin des Textilmuseums.

Haben sich auf die Spuren von Paul Prött begeben (v.l.): Isa Fleischmann-Heck, stellvertretende Museumsleiterin, Uta-Christiane Bergemann und Annette Schieck, Leiterin des Textilmuseums.

Foto: Jochmann, Dirk (dj)

430 Seiten für einen gehobenen Schatz: Der Katalog „Tracht oder Mode“, der jetzt anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im Textilmuseum erschienen ist, ist im doppelten Sinn ein Schwergewicht. Stolze fünf Pfund ist das knapp fünfhundert Seiten umfassende Buch schwer, die Bedeutung des Inhalts kann dagegen in Pfund kaum aufgewogen werden. Das machte jetzt die Präsentation des Kataloges durch die drei Autorinnen mehr als deutlich.

Neben der Leiterin des Textilmuseums, Annette Schieck, und ihrer Stellvertreterin Isa Fleischmann-Heck hat vor allem Uta-Christiane Bergemann das Buch, das ein Standardwerk werden könnte, erarbeitet. Ihre Tätigkeit konnte die Kunsthistorikerin im Rahmen der von der Kulturstiftung der Sparkasse Krefeld geförderten Projektreihe „Ans Licht“ ausüben.

Ans Licht gekommen ist dabei eine Sammlung aus dem Bestand des Textilmuseums, die 75 Jahre im Depot geschlummert hat. Sie ist nach ihrem Sammler Paul Prött benannt, der ein Konvolut von Kleidung, Kopfbedeckungen und Schmuck aus der Zeit des 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein zusammengetragen und 1943 an das Museum übergeben hat.

Name und Jahreszahl waren das dürftige Ausgangsmaterial

Zwei Listen mit verzeichneten Gegenständen, der Name Prött und die Jahreszahl 1943 waren das dürftige Ausgangsmaterial für die Forschungsarbeit. „Es war spannend und es stellten sich viele Fragen, die nicht alle beantwortet werden konnten“, sagt Bergemann dazu. Allein die Jahreszahl 1943 hatte Signalwirkung. Es stellte sich die Frage, unter welchen Umständen die Sammlung nach Krefeld kam, wer überhaupt der Sammler war und ob es sich nicht vielleicht sogar um Raubgut handelte. So beinhaltete die einjährige Forschungsarbeit nicht nur die Erfassung und kulturhistorische Einordnung der pauschal als Trachten bezeichneten Stücke, sondern erforderte auch eine Provenienzforschung (d.h.: Herkunfsforschung). „Wir sind das erste Museum in Deutschland, das sich in der Provenienzforschung so umfangreich ausschließlich mit Textilien beschäftigt“, betont Schieck.

Am Anfang standen Recherchen zur Biografie des Sammlers. Paul Prött (1881-1964) war ein in Köln tätiger Maler und Grafiker, der nachweislich nicht in der Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) war. Eine Tochter heiratete nach Amerika und ab 1947 lebte auch Prött einige Jahre dort. Warum er seine Sammlung nach Krefeld gab und ob zum Beispiel die Nationalsozialisten den Ankauf finanzierten, lässt sich derzeit noch nicht abschließend sagen. Vermutlich hatte er Kontakte zu dem damaligen Leiter der Krefelder Gewebesammlung, Ernst Rank, und zu seiner Nachfolgerin Renate Jaques.

Wie viele Künstler seiner Zeit sammelte Prött vermutlich die Textilien aus persönlichem Interesse und um sich Anregungen für seine Arbeit zu holen. Seine Sammlung umfasst nicht nur europäische Textilien. Das Forschungsprojekt und der Katalog beschränken sich aber auf den europäischen Bereich, der wiederum seinen Schwerpunkt in Mittel-und Südosteuropa hat.

Die Erfassung und Einordnung des mehr als 500 Stücke umfassenden Textilbestands bildete den zweiten großen Bereich der Forschungsarbeit Bergemanns. Während sie sich auf die Kleidung beschränkte, beschäftigten sich Isa Fleichmann-Heck und Anette Schieck mit den Teilbereichen Kopfbedeckungen und Schmuck.

Am Beginn der Tätigkeit stand die fotografische Dokumentation jedes Stücks. Kurzbeschreibungen waren teilweise auf den alten Listen vorhanden und mussten zugeordnet und ergänzt werden. Für eine mögliche genaue Einordnung und Datierung beschäftigte Bergemann sich mit Vergleichssammlungen, was oft Recherchen vor Ort nach sich zog. Winzige Details wie die Gestaltung einer Zierborte können oft interessante Aufschlüsse geben. „Die Stücke erzählen aus sich selbst heraus“, sagt die Kunsthistorikerin dazu. Sie besuchte nicht nur andere Textilsammlungen sondern sichtete auch alte Grafiken. Solche historischen Modeabbildungen geben oft Hinweise zur Datierung.

Ein Grundthema, dass sich durch das ganze Projekt zieht und auch im Titel des Katalogs deutlich wird, ist die Abgrenzung zwischen Mode und Tracht. Verbindliche Kriterien, was Tracht ist, wurden erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts festgelegt. Im Nationalsozialismus gab es ein ideologisch verzerrtes Bild der Tracht – und in dieser Zeit entwickelte sich auch die Form des bis heute so populären Dirndls.

Mit historischen Trachten, wie sie Paul Prött sammelte, hat das nichts zu tun. Deren unglaubliche Vielfalt kann man anhand der vielen Abbildungen im Katalog nachvollziehen. Mit dem Forschungsprojekt, der Ausstellung im Textilmuseum und dem opulenten Katalog ist jetzt ein spannendes Stück Textilgeschichte ans Licht gekommen und für die Nachwelt dokumentiert worden. Vor allem der Katalog dürfte aufgrund seines Umfangs und der hochkarätigen Forschungsarbeit ein Standardwerk werden.