Bewährungshelferinnen im Interview: "Die Tat verurteilen, nicht den Täter"
Ute Köpf-Braun und Marianne Fechter arbeiten beim Ambulanten Sozialen Dienst als Bewährungshelferinnen. Mit der WZ sprachen sie über zweite Chancen für Gesetzesbrecher.
Handelt es sich bei der Strafaussetzung zur Bewährung um eine zweite Chance, einen Warnschuss oder eine Strafe?
Marianne Fechter: Alles drei trifft zu. Es ist eine zweite Chance, weil man nicht inhaftiert wird. Es ist ein Warnschuss, weil es kein Freispruch ist. Und es ist eine Strafe, weil man Auflagen zu erfüllen hat. Ute Köpf-Braun: Und die Auflagen zu erfüllen — gemeinnützige Arbeit, Schadenswiedergutmachung — das kann mühsam und lästig sein. Vor allem, wenn das über einen längeren Zeitraum geht.
Wie oft empfinden die Delinquenten selbst die Bewährung als zweite Chance?
Köpf-Braun: Häufig findet eine Entwicklung statt. Am Anfang sehen sie es eher als Strafe, aber wenn sie merken, dass sie unterstützt werden, sehen sie es auch als zweite Chance. Fechter: Schließlich bieten wir ihnen hier auch viel praktische Lebenshilfe und sorgen für ihre Existenzsicherung — wir kümmern uns etwa um Arbeitslosengeld. Wie groß ist der Prozentsatz der Delinquenten, die die zweite Chance nutzen und alle Auflagen erfüllen? Köpf-Braun: Den würde ich ungefähr auf 70 Prozent schätzen.
Gibt es Deliquenten-Gruppen, die Sie in dieser Hinsicht als besonders zuverlässig erleben?
Fechter: Mörder sind häufig sehr zuverlässig. Die kommen nach rund 17 Jahren Knast zu uns und haben dann noch mal fünf Jahre Reststrafe, ausgesetzt zur Bewährung. Da es sich bei Morden aber oft um Beziehungstaten handelt und die Mörder im Gefängnis viel aufgearbeitet haben, gibt es selten Probleme.
Gibt es im Gegenteil auch Deliquenten-Gruppen, bei denen häufiger Probleme auftreten?
Köpf-Braun: Suchtkranke verstoßen natürlich oft gegen die Auflagen. Vor allem, indem sie sich wieder Drogen besorgen. Fechter: Schließlich ist das eine Krankheit und ein Urteil bringt da keine Heilung. Köpf-Braun: Auch Betrüger haben eine große Rückfallgefahr. Bei ihnen scheint es oft ein Teil der Persönlichkeit zu sein.
Wem fällt es schwerer, die Bewährung als zweite Chance zu nutzen — jugendlichen oder erwachsenen Delinquenten?
Fechter: Ich würde sagen den Jugendlichen. Wohl, weil sie die Bewährung zunächst als gefühlten Freispruch begreifen. Aber wenn sie dann mit Struktur und Disziplin konfrontiert werden, etwa regelmäßigen Schulbesuchen und Drogen-Screenings als Auflage, wird es ihnen schnell lästig. Im Sinne von: Dann kann man nicht mehr chillen.
Kommt es denn oft vor, dass Ihre Klienten Sie bezüglich der Einhaltung der Auflagen positiv oder auch negativ überraschen?
Köpf-Braun: Man kann schon sehr überrascht werden. Manchmal denkt man, das geht auf jeden Fall den Bach runter und dann läuft es gut. Umgekehrt natürlich auch. Man kann den Leuten eben nur vor den Kopf gucken. Fechter: Dabei ist auch die Dynamik der Lebensumstände immer entscheidend. Bei einem gravierenden Einschnitt im persönlichen Umfeld, etwa einer beendeten Beziehung, kann es ganz plötzlich ganz schlecht laufen.
Spielt bei Ihrer Arbeit persönliche Sympathie eine Rolle?
Fechter: Sympathie ist natürlich etwas ganz Menschliches. Aber die Profession verlangt es, auch zu helfen, wenn es keine Sympathie gibt. Köpf-Braun: Manchmal braucht man einige Zeit, um Täter und Tat zu trennen. Aber das ist wichtig, sonst kann man nicht arbeiten. Man sollte immer nur die Tat verurteilen, nicht den Täter. Fechter: Zumal der Täter ja bereits verurteilt ist.
In der Gesellschaft findet diese Differenzierung häufig nicht statt — wie stark sind Ihre Klienten von Stigmatisierung betroffen?
Fechter: Schon sehr stark. Sie haben jedenfalls Glück, wenn bei der Jobsuche kein Führungszeugnis verlangt wird. Köpf-Braun: Verurteilte Straftäter stellt eigentlich kaum jemand ein. Und das ist natürlich schlecht, schließlich ist Arbeit ein wichtiger Teil der Resozialisierung. Ein Teufelskreis.
Die Gesellschaft ist also weniger als die Justiz bereit, eine zweite Chance zu gewähren?
Köpf-Braun: Die Bereitschaft ist auf jeden Fall gesunken. Zwar sollen sie ständig irgendwelche Maßnahmen oder Qualifizierungen durchlaufen, aber einen Job kriegen sie trotzdem nicht. Fechter: Das entspricht einfach nicht mehr dem Zeitgeist. Früher war das anders. In den 70er Jahren galt es sogar als schick, auch mit den gesellschaftlichen Randgruppen zu arbeiten. Heute hört man fast nur noch die Gegenstimmen: „Und was ist mit den Opfern?“ Dabei geht es auch bei der Täterarbeit um Opferschutz.