Gedenkstunde „Viel zu viele Leute haben damals weggesehen“

Cracau · Vertreter aus Gesellschaft, Schülerschaft und Politik gedenken im Moltke-Gymnasium der Opfer des Holocausts.

Schulleiter Udo Rademacher (v.l.), Sandra Franz (NS-Dokumentationsstelle), OB Frank Meyer und Michael Gilad (Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde) bei der Gedenkstunde im Moltke-Gymnasium.

Foto: Jochmann, Dirk (dj)

75 Jahre waren auf den Tag genau seit der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau vergangen. Ein Moment, der die Gräueltaten im Deutschen Reich unter Adolf Hitler ans Tageslicht brachte und bis heute fest in der Erinnerungskultur des Landes und der Welt verankert ist. Der 27. Januar bildet jeher den Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. Zu diesem Anlass hatte das Gymnasium am Moltkeplatz am Montag zu einer Gedenkstunde eingeladen.

Es war bereits das zweite Mal, dass die Cracauer Schule an die Verbrechen und die Toten erinnerte. Sie selbst verlor 14 jüdische Schüler in der NS-Zeit. Ihrer wird auf einer Gedenktafel im Eingangsbereich gedacht. Schon in 1998 hatte das Gymnasium als Ort des Zusammenkommens gedient. Nun, 22 Jahre später, traten die Redner in der Aula wieder vor das Mikrofon.

Oberbürgermeister Frank Meyer verwies auf die Besonderheit in Krefeld, solche Jahrestage nicht im Rathaus abzuhalten, sondern in die Krefelder Schulen zu geben. Dort, wo die Jugend sei. „Jedes Jahr findet sich ein anderer individuelle Spiegel der Auseinandersetzung.“ Der oberste Repräsentant der Stadt lobte die Ausstellung „Survivors“ in der Essener Zeche Zollverein. 75 riesige Porträts von Überlebenden gibt es dort zu sehen. Meyer sagte über die Lehren aus der Geschichte: „Es gab Millionen Opfer. Die Menschen hatten vorher einen ganz normalen Platz in der Gesellschaft. Viel zu viele Leute haben damals weggesehen.“ Heute müssten die Menschen zu einer Art Zeugen werden. Die Gesellschaft dürfe sich nicht nur auf den Staat verlassen, sondern müsse selbst aktiv werden.

Michael Gilad bewegt
mit persönlicher Rede

Bewegend war der Vortrag von Michael Gilad, dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Krefeld. Er verlor Angehörige, Teile seiner Familie bekam der 1947 in Lübeck Geborene nie zu Gesicht. Seine Eltern, die später nach Israel auswanderten, hätten den seelischen Schmerz nie überwunden. Detailreich erzählte er aus dem Leben seiner Eltern, die gefangen waren, später fast bei einem englischen Luftangriff auf das Schiff Kap Arkona ums Leben kamen. Michael Gilad kehrte erst Ende der 1960er-Jahre nach Krefeld zurück. „Der Antisemitismus ist eine chronische Krankheit“, sagte er: „Wir müssen ihn mit allen Mittel bekämpfen.“ Applaus brandete auf, ehe er die Wort ausgesprochen hatte. „Ich habe Angst“, gestand Gilad vor den Zuhörern in der Aula. Er selbst habe schon verbale und körperliche Angriffe erlebt. Die Geschehnisse von Halle an der Saale im Oktober, ließen das Unbehagen wieder ansteigen. An die versammelten Schüler sagte er: „Ihr seid die Zukunft. So etwas darf nie mehr passieren.“

Schulleiter Udo Rademacher sprach davon, „junge Menschen müssten sich mit Auschwitz beschäftigen und Haltung zeigen.“ Erinnerung stehe gegen den Fremdenhass. Sandra Franz, Leiterin der NS-Dokumentationsstelle Villa Merländer, rief zu einer entschlossenen Ablehnung gegenüber Parteien und Herrschern auf, die Ausgrenzung propagierten. „Wir dürfen keinen Zentimeter nach rechts gehen.“ Es müsse vorbei sein mit dem Verständnis für Protestwähler – unausgesprochen meinte sie wohl auch die Klientel der AfD. „Die Partei, die man wählt, zielt auch immer auf den Wähler zurück. Wir müssen laut ‚Nein, nie wieder‘ sagen.“ Es dürfe keine schweigende Mehrheit geben.