Vielfalt ist das Erfolgsrezept des Fichte-Gymnasiums
44 Prozent der Abiturienten sind Kinder von Migranten – das liegt weit über dem Durchschnitt in NRW.
Krefeld. Luan, Süleyman und Ruslana - wer die Liste der diesjährigen Abiturienten vom Fichte-Gymnasium genauer unter die Lupe nimmt, erkennt: Diese Schule ist etwas Besonderes. "Wir waren schon immer eine kleine Uno", sagt Direktorin Waltraud Fröchte lachend. "Momentan besuchen Kinder aus 19 Staaten unser Gymnasium, es waren aber auch schon mal fast 30 Nationen."
Diese kulturelle Vielfalt stellt die Innenstadt-Schule, gelegen am Westwall, vor besondere Herausforderungen - bietet aber gleichzeitig auch eine entscheidenden Vorteil: "Bei uns herrscht eine sehr positive Atmosphäre", findet Fröchte. "Die Schüler sind offen und tolerant, für sie ist das Fremde nicht fremd."
Mittlerweile haben 50 Prozent der Fünftklässler einen Migrationshintergrund - und so spiegelt das Gymnasium das Gesellschaftsbild in der Krefelder City ziemlich genau wider. Doch was angesichts der in diesen Tagen überaus hitzig geführten Integrationsdebatte von vielen als Nachteil angesehen wird, betrachten die Schüler als einen Schatz.
"Alle an dieser bunten Schule bewerten die Vielfalt als positiv", sagt Schülersprecher Arthur Eirich. Der Stipendiat geht mittlerweile in die 13. Klasse. 1992 ist er als Einjähriger mit seinen Eltern aus Kasachstan eingewandert. "Bei uns spielen Nationalitäten keine Rolle, wir achten auf das Wesentliche: den Charakter eines Menschen."
Unter diesen Multikulti-Voraussetzungen gelingt dem Fichte-Gymnasium Jahr für Jahr aufs Neue, wovon Bildungspolitiker deutschlandweit bislang nur träumen: Während laut Statistik lediglich 15Prozent der Migrantenkinder eines Jahrgangs in Nordrhein-Westfalen ein Gymnasium besuchen - und letztendlich nur zehn Prozent das Abitur bestehen -, kann die Krefelder Schule ganz andere Zahlen vorweisen: "In diesem Jahr waren 44Prozent unserer Abiturienten Migranten, darunter 44 Prozent Mädchen", sagt Schulleiterin Fröchte. "Ihre bevorzugten Leistungskurse sind Mathematik Englisch und Deutsch, aber auch Biologie, Chemie und Französisch."
Trotzdem muss sich Wladislaw Peljuchno häufig gegen Anfeindungen wehren. Der gebürtige Ukrainer, Schüler der zwölften Klasse, hat einige Freunde an der Marienschule und bekommt immer wieder zu hören, dass er eine "Türkenschule" besuche. "Die Vorurteile sind auch bei jungen Leuten definitiv gegeben", stellt er fest. "Die realisieren gar nicht, dass wir wegen des Zentralabiturs alle die gleichen Leistungen bringen müssen."
Auch Adil Öztürk, der nächstes Jahr Abi macht und dessen Opa 1965 als Gastarbeiter aus der Türkei eingewandert war, ist stolz auf seine Schule. "Hier werden Innovation, Tradition und Integration miteinander verbunden", erklärt das Mitglied der Schülervertretung. "Das Fichte setzt aufs Miteinander statt auf Spaltung - und das kann in Zeiten der Globalisierung nur von Vorteil sein. Wir nutzen die Stärken der einzelnen Individuen und Kulturen."
Die Schüler wissen aber auch um die Schwierigkeiten, die einige Kinder mit Migrationshintergrund mitbringen: "Das Elternhaus spielt eine entscheidende Rolle", erklärt Okan Yilmaz, der gerade in der Einführungsphase für die Oberstufe steckt. "Dort fehlt es manchmal an der nötigen Unterstützung, sei es wegen mangelnder Sprachkenntnisse, wegen eines niedrigen Bildungsgrads oder einfach Desinteresse."
Um diese mangelnde Chancengleichheit auszumerzen, setzt die Schule auf ein über die Jahre gewachsenes, breites Förderprogramm. Das reicht vom Sprachunterricht in Kleinstgruppen über das Drehtürmodell für besonders begabte Kinder bis zur Teilnahme an besonderen Projekten und Wettbewerben.
Dieses umfassende Bildungskonzept, von dem alle Schüler unabhängig ihrer Herkunft profitieren, hat auch Imran Özdemir dazu bewogen, seine Tochter Irem aufs Fichte zu schicken. Der Banker hat 1992 ebenfalls an dieser Schule sein Abitur gemacht. "Hier kann sie die Bildungsmöglichkeiten zu hundert Prozent nutzen - und auch noch etwas über Toleranz und Offenheit lernen."
Einen Beitrag dazu wird auch Rabia Bayram leisten. Die Krefelderin, die als Schülerin das Gymmasium Fabritianum in Uerdingen besuchte, macht seit August ihr Referendariat am Fichte. Ihr Steckenpferd ist die interkulturelle Kompetenz. "Ich möchte den Schülern dabei helfen, Interesse und Empathie für andere Kulturen und Sitten zu entwickeln", sagt sie. "Außerdem will ich Vorbild sein. Viele Jugendliche mit Migrationshintergrund schaffen es nämlich nicht, die zwei Identitäten, die sie ausmachen, miteinander zu vereinbaren. Sie fühlen sich dann nirgendwo richtig zugehörig. Und ich will ihnen zeigen, dass das so nicht sein muss."