„Sich jeden Herbsttag was Gutes gönnen“
Noch scheint die Sonne, aber für die dunkleren Tage empfiehlt der Erkrather Sozialpsychologe Christian Mörsch Spaziergänge, ein gutes Buch oder ein paar Minuten Ruhe.
Herr Mörsch, es ist jedes Jahr das gleiche „Grauen“: Die ersten Blätter fallen von den Bäumen und die Laune sinkt in Anbetracht der herbstlichen und winterlichen Aussichten auf den Tiefpunkt. Lässt sich das überhaupt vermeiden?
Christian Mörsch: Wie wir den Herbst wahrnehmen, ist vor allem eine Kopfsache. Wer jetzt den vergangenen Sommertagen hinterher trauert und für die kommenden Wochen eine bedrückende und von negativen Gefühlen geprägte Phase erwartet, der erlebt die Zeit der fallenden Blätter auch genau so.
Christian Mörsch, Sozialpsychologe
Stattdessen könnte man ein Gefühl von Dankbarkeit entwickeln für das, was bereits gut ist und gleichzeitig offen, gelassen und zuversichtlich in den Herbst zu gehen. Um es mit Hermann Hesse zu sagen: Grauenvoll ist der Todeskampf des Sommers, sein wilder Widerwille gegen das Sterbenmüssen, sein Umsichschlagen und Aufbäumen, das doch alles vergeblich ist und nach einigem Toben hilflos erlöschen muss.
Was können wir dem so verzweifelt beklagten Herbstblues entgegensetzen?
Mörsch: Wenn alles immer gleich bleiben würde, wäre das auf Dauer schlichtweg langweilig. Daher ist es durchaus positiv, dass der Sommer nun vom Herbst abgelöst wird und die Sommertage zu etwas Besonderem werden.
Wer dennoch dem Herbstblues verfällt, sollte dafür sorgen, dass der Körper Glückshormone ausschüttet. Also raus in die Natur, die Farben des bunten Blätterkleides im Wald genießen, sich bewegen und immer wieder mal lächeln. Die fallenden Blätter, das welkende Laub, das Ende eines Lebenszyklus in der Natur: Da ist auch der Gedanke an den Tod nicht weit.
Hilft die Natur vielleicht sogar dabei, sich Wandel und Vergänglichkeit womöglich sogar hoffnungsvoll zu nähern?
Mörsch: Während die Tage kürzer werden und die Bäume ihre Blätter verlieren, werden wir daran erinnert, dass Loslassen die Voraussetzung dafür ist, dass etwas Neues entstehen kann. Entwicklung und Wachstum ist immer mit Veränderung verbunden — dem Loslassen von überholten Gewohnheiten, dem Abbau von Stressoren oder dem Zulassen von neuen Denk- und Verhaltensweisen.
Gerade im Herbst lohnt es sich zu fragen, was uns belastet und was wir loslassen möchten. Einige Tiere fallen in den Winterschlaf, so manch ein Mensch würde es ihnen wohl gerne gleichtun.
Ist der Winterblues womöglich nur der Wink mit dem Zaunpfahl, endlich mal zur Ruhe zu kommen?
Mörsch: Die Natur stellt sich im Herbst auf Ruhe ein. Auch unser Körper reagiert mit einer vermehrten Ausschüttung des schlaffördernden Hormons Melatonin. Somit haben wir ein erhöhtes Bedürfnis nach Ruhe, dem wir mit mehr Müßiggang und entspannenden Momenten nachkommen sollten.
Und was kann man ganz konkret im Alltag tun gegen den Herbstblues?
Mörsch: Man sollte sich an jedem der kommenden Herbsttage etwas Gutes gönnen. Die warme Badewanne nach der Arbeit, einen Saunagang, ein Buch oder den Spaziergang im Herbstwald: Es muss nichts Großes oder Zeitaufwendiges sein.
Erleben Sie den Herbst mit der Neugier und Begeisterungsfähigkeit eines Kindes! Springen Sie an einem regnerischen Tag doch einmal über eine große Pfütze, verfolgen Sie die akrobatische Flugbahn eines fallenden Blattes im Wind oder lassen Sie einen bunten Drachen steigen. Der Herbst hat so viel Schönes zu bieten!