Auf dem Rad von Hilden nach Sizilien „Mich kann nichts mehr aufhalten“
Hilden · Seit einem Monat ist Denise Oertel wieder auf ihrem Fahrrad unterwegs. Ihr Ziel ist dieses Mal Sizilien. Welchen Herausforderungen die Hildenerin auf dem bisherigen Weg begegnet ist und was sie sich und anderen beweisen wollte.
Im vergangenen Jahr radelte Denise Oertel mit dem Fahrrad von Hilden nach Gibraltar. Eine Reise, die ihr viel über sich selbst gelehrt hat – und Lust auf mehr gemacht hat. „Als ich aus Gibraltar wiedergekommen bin, habe ich erst mal wieder im Krankenhaus gearbeitet“, erzählt die 28-Jährige. Die Arbeit in der Pflege habe ihr gefehlt. Im Laufe der Monate wurde ich allerdings auch immer klarer, dass sie die Zeit auf Reisen noch nicht abschließen möchte: „Ich habe mich gefragt ,ist das schon die wilde Zeit gewesen, von der ich später meinen Enkeln erzähle?’“
Also hat sie sich ein neues Ziel gesteckt – dieses Mal mit einer neuen Herausforderung. Nach Sizilien soll es gehen – mit möglichst wenig Unterstützung durch Navigationsgeräte: „Ich bin kein Fan vom Navigieren, versuche Google Maps in der Tasche zu lassen“, erzählt die junge Frau. Stattdessen achte sie auf die Straßenschilder und nutze ihren Verstand.
Der Plan war es, immer am Rhein lang zu fahren, um irgendwann am Bodensee anzukommen. Dort angelangt, fuhr die auf dem Königssee Radweg über Garmisch-Patenkirchen nach Österreich. Auf dieser Strecke wartete die neue Herausforderung auf die Frau, der sie sich auf ihrer zweiten Tour unbedingt stellen wollte: Ihr erster Bergpass, den sie auf ihrem Fahrrad überqueren würde. Am Morgen habe sie noch zarte Zweifel gehabt. Sie überlegte, ob sie doch den Bus nehmen oder sich Hilfe holen solle – entschied sich jedoch, es alleine zu probieren. Anders als für die Rennradfahrer, denen sie auf dem Weg begegnete, hieß es für die Hildenerin also mit Gravelbike und Gepäcktaschen: immer bergauf. Für sie kein Problem: „Mir macht es total Spaß, bergauf zu fahren. Man fährt fünf Meter hoch, dreht sich um und hat eine wunderschöne Aussicht.“ Teilweise hätte sie auf der Etappe gedacht, sie sei in Grönland. „Es ist eine ganz andere Welt da oben“, berichtet Denise Oertel.
Von Sölden hat sie an dem Tag 1300 Höhenmeter auf einer 25 Kilometer langen Strecke zurückgelegt. Vier Stunden hat sie für den Anstieg gebraucht.
In Retrospektive sei die Überquerung ein Schlüsselmoment für sie gewesen, berichtet Oertel. Es war der höchste Berg, auf dem sie mit dem Fahrrad bisher war. „In meinem Kopf heißt das, dass alles, was jetzt kommt, leichter wird. Mich kann nichts mehr aufhalten.“ Seitdem sei sie sich in schwierigen Situationen sicher: „Egal wie, ich komme da durch“. Auch diese Reise habe ihr Urvertrauen weiter gefestigt. „Ich habe ein neues Selbstvertrauen in mich und meine Beine“, erzählt Oertel.
Und noch etwas anderes wollte sie sich selbst und anderen beweisen: „Nach meiner letzten Reise habe ich häufig gehört, dass man in Deutschland sicher nicht so viele nette und hilfsbereite Menschen treffen würde, wie in den südlicheren Ländern.“ Denise Oertel suchte mit der App „warm showers“ nach Schlafmöglichkeiten bei anderen Radfahrern und Radfahrerinnen – mit großem Erfolg. Jetzt könne sie mit Sicherheit sagen: „In Deutschland gibt es genauso viele warmherzige Menschen, die ohne Hintergedanken teilen und helfen wollen.“ Sie selbst habe die ganze Zeit dran geglaubt, jetzt wollte sie es sich selbst und anderen beweisen.
Dass es nicht immer nur schön werden würde, wusste die junge Frau schon, als sie sich in Hilden auf ihr Rad schwang. „Ich war keine 50 Kilometer gekommen, da ist mit eine Speiche gerissen.“ Solche Momente seien für die Hildenerin die größte mentale Herausforderung. „Die Momente, in denen nicht alles nach Plan läuft, sind für mich die schwierigsten.“ Ihr Ratschlag, der sich nicht nur aufs Fahrradfahren anwenden lässt: allen Emotionen Platz einzuräumen. „Es darf sich auch mal alles richtig scheiße anfühlen“, meint sie. „Dann darf man auch mal am Straßenrand sitzen und heulen.“ In solchen Situationen versuche sie Schritt für Schritt weiterzumachen. Man dürfe nicht an die nächsten 25 Schritte oder 5000 Höhenmeter denken. „Ich denke jetzt auch nicht an Sizilien, sondern an den nächsten Tag.“
In schwierigen Zeiten motivierten sie auch die Nachrichten von Freunden und Familie. Besonders über die langen Sprachnachrichten ihres Vaters freue sie sich regelmäßig: „Er googelt viel für mich, wenn ich Probleme habe, und hält mich mit seinen Nachrichten immer auf dem Laufenden“, erzählt Oertel. Die Gespräche zwischen den beiden hätten sich intensiviert, seit sie wieder auf Reisen sei, berichtet sie. „Man nimmt sich bewusster Zeit, als wenn ich zu Hause bin. Ich denke, das ist der Grund.“
Auch zurück nach Hilden wird es von Sizilien mit dem Fahrrad gehen – dann an der Adria entlang. Der Rückweg sei schwieriger als der Hinweg, weiß die junge Frau von ihrer letzten Reise. „Klar, ich freue mich dann auf meine Eltern, Freund und die Sicherheit, einen gefüllten Kühlschrank zu haben.“ Aber es gäbe da ein Gefühl, was wohl nur Langzeitreisende vollständig nachvollziehen könnten: „Man fällt in ein Loch. Sofort kommt die Frage auf, ob das die letzte Reise dieser Art war, oder wann es wieder losgeht.“ Dieses Gefühl verursache großen Druck bei ihr.
Daher sammelt Oertel schon jetzt Ideen, welcher Herausforderung sie sich als Nächstes annehmen könnte. Vielleicht mit dem Rad zum Nordkap? Sicher ist für die Hildenerin bisher nur: „Ich möchte noch viele Berge hochfahren. Vielleicht mal mit einem Rennrad und ohne Gepäck – aber auf jeden Fall in die Berge.“