Vortrag in Düsseldorf Auswanderer-Drama als Vortragsthema

Kreis Mettmann · Vor 100 Jahren sind Menschen aus Haan nach Brasilien ausgewandert. Doch die ihnen dort versprochene Farm gab es nicht. Jetzt war das Drama Thema eines Vortrags, den der Haaner Geschichtsforscher Lothar Weller im Düsseldorfer Gerhart-Hauptmann-Haus hielt.

Gruppenbild einer Reihe hoffnungsfroher Auswanderer, die bald enttäuscht werden sollten.

Foto: Geschichtsverein

Das Thema Migration ist nicht nur so alt wie die Menschheit selbst, es ist auch entschieden vielschichtiger, als es die aktuelle politische Diskussion gelegentlich suggeriert. Schon immer sind Menschen zu neuen Horizonten aufgebrochen, von Entdeckergeist getrieben, von Glücksversprechungen gelockt oder aus purer Not, etwa Hunger oder Unterdrückung.

In seinem Vortrag, den Lothar Weller im Düsseldorfer Gerhart-Hauptmann-Haus vor einem interessierten Publikum hielt, berichtete der bekannte Heimathistoriker über das misslungene Auswanderungsprojekt von rund 100 Personen aus Mettmann, Wülfrath und Haan nach Brasilien vor 100 Jahren, das er unlängst in seinem Portal Gruitener Geschichten schon einmal aufgegriffen hatte (wir berichteten). Mit dabei war auch die siebenköpfige Familie Schruck aus Gruiten. Die gemeinschaftlich organisierte Unternehmung endete allerdings für nahezu alle Beteiligten in einem betrügerischen Desaster. Als ironische Fußnote der Geschichte gilt der 25. Juli 1924 als Tag der deutschen Einwanderung.

In seinem Vortrag vor interessiertem Pubklikum beleuchtete Weller noch einmal die Auswanderungsmotive in einem Nachkriegsdeutschland, wo die wirtschaftlichen Perspektiven aufgrund einer galoppierenden Inflation mehr als schlecht waren. Schon 1923, im Jahr der Auswanderungsvorbereitung, war der Milchpreis in Mettmann von 200.000 Mark pro Liter am 28. August auf 3,4 Millionen Mark am 18. September und auf 350 Milliarden Mark am 16. Dezember gestiegen. „Die müssen damals alles, was sie hatten, verkauft haben, um die Auswanderung bezahlen zu können“, sagte Weller und zeigte Zeitungsannoncen, in denen Wohnungen samt Mobiliar angeboten wurden.

Ein anderer Aspekt, auf den Weller hinwies, war die offensichtliche Blauäugigkeit der Auswanderer, die mit Frauen und Kindern das Abenteuer wagen wollten. Dabei gab es in Zeitungen immer wieder Warnungen vor den großen Herausforderungen, mit denen Migranten konfrontiert sein würden. Doch von Optimismus beseelt, hieß es am Bahnhof Mettmann mit „großem Bahnhof“ Abschied nehmen. Zwanzig Tage dauerte die Überfahrt mit dem Dampfschiff „Fomose“ von Antwerpen aus über Le Harvre, Bilbao, Porto, die Kanaren, und dann von Rio de Janeiro aus schließlich nach Santos. Doch dann, am kollektiven Sehnsuchtsort der Auswanderer, einem Tal des Flusses Ribeira bei Xiriica, kam es zu der großen Enttäuschung.

Der Kaufvertrag für die Farm war eine Fälschung, der Eigentümer, ein deutscher Major, der bereits zu früherer Zeit ausgewandert war, wollte zwar verkaufen, doch da hatte die Gruppe ihr Geld bereits ausgegeben. Nicht ganz unschuldig an dem Betrug war offenbar die Familie Roese. Die Brüder Hermann und Daniel Roese wurden aufgrund übereinstimmender Tagebuchaufzeichnungen als Drahtzieher des Immobilien-Deals erwähnt. Da die Familien kein Geld für eine Rückkehr hatten, begann für sie eine Zeit größter Entbehrungen.

Sie lebten in kargen, von Ungeziefer heimgesuchten Hütten und mussten hart für ihr Überleben arbeiten. „Erst Sammlungen in der Heimat ermöglichten Monate später, am 21. August 1924, wie aus Aufzeichnungen der Familie Schruck hervorgeht, die Rückkehr mit dem Dampfschiff Werra“, erklärte Weller. „Ich habe diese Geschichten immer wieder von meiner Mutter gehört“, sagte Gabriele Sichelschmidt, die den Vortrag Wellers aufmerksam verfolgte. Ihre Mutter Grete Heidchen war damals Zeitzeugin und offenbar hatte sie diese Zeit so geprägt, dass sie immer wieder darüber erzählen musste.

„Und wir wissen auch, wer für für diesen Betrug verantwortlich war“, sagte Sichelschmidt, nannte Hermann und Daniel Roese, und verwies zudem auf das Tagebuch von Hans Isenbügel, das ihre Annahme stützte. Weller berichtete zum Schluss noch über einen dritten Roese-Bruder. Ralph Roese, der am 27. Juli 1900 in Mettmann geboren wurde und später in Düsseldorf lebte. In den Dreißiger Jahren machte er Karriere sowohl als Motorrad- als auch als Auto-Rennfahrer. Er kam 1950 bei einem Autounfall auf der A3 bei Neuwied ums Leben und liegt auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof begraben.