Schüler schnuppern Zirkusluft
Alle vier Jahre gastiert der Mitmachzirkus Casselly an der Elbseeschule.
René ist hochkonzentriert. Der Neunjährige hält eine Fackel in der linken Hand, fährt dann langsam mit der riesigen Flamme über seine rechte Hand. Von Schmerz keine Spur, sein Gesicht glüht von der Hitze und strahlt vor Stolz. „Wunderbar hast Du das gemacht“, lobt Zirkus-Chefin Maria Casselly den Vierklässler während der Probe im Zirkuszelt. Noch vor wenigen Tagen hätte René es nicht für möglich gehalten, Feuer zu spucken oder über ein Nagelbrett zu laufen. Ein anderer Schüler erzählt selbstbewusst: „Ich lege mich sogar mit nacktem Oberkörper auf Glasscherben, und es passiert gar nix“.
Drei Tag lang proben die kleinen Fakire für ihren großen Auftritt am Ende der Zirkuswoche vor Eltern, Großeltern, Geschwistern und Freunden. Draußen auf der Wiese führen Ziegenbock Seppel und sein Dompteur Leon einen kleinen Machtkampf aus. Der Zweitklässler soll mit Seppel zur Probe ins Zelt kommen und zieht am Strick, der sture Bock aber frisst unbeirrt weiter. „Aber gestern“, ergänzt der Schüler mit fast schon entschuldigendem Blick auf Seppel, „hab ich Alleez hopp gerufen und er ist durch einen Metallring gesprungen“.
Luna ist Clown. Während der Probe mit Casselly-Clown Antonio gibt’s viel zu lachen. Die Achtjährige quietscht vor Freude. Sie trägt eine rote Perücke, eine überdimensionale Brille und einen Hut. „Macht alles nach, was ich mache“, ruft Antonio in die etwa zehnköpfige Gruppe von Clown-Azubis. Er kratzt sich am Kopf, zieht Grimassen, stolpert. Die Kinder beobachten ihn genau, reagieren sekundenschnell.
„Die Kinder haben hier nicht nur unheimlich viel Spaß, sondern sie lernen spielerisch so vieles mehr: Konzentration, Disziplin, Motorik, Zusammenhalt. All das sind wesentliche Aspekte eines funktionierenden Zirkuslebens“, sagt Karola Casselly. Ihre Mutter Maria fügt hinzu: „Ganz wesentlich ist, dass Kinder hier lernen, Grenzen zu überwinden. Im Zirkus gibt es einen Leitspruch: Kann ich nicht, gibt es nicht. Wir probieren zumindest aus.“
Bereits zum vierten Mal gastiert der Mitmachzirkus „Johnny Casselly & Söhne“, mit Hauptquartier in Voerde, an der Grundschule Am Elbsee. Jeweils eine Woche lang dauert der Aufenthalt, die Kinder werden in zehn verschiedenen Gruppen trainiert, vom Seiltänzer bis zum Jongleur. „Besonders beliebt sind die Tiergruppen“, weiß Karola Casselly, „die Kinder treten ja nicht nur mit den Tieren auf, sie kümmern sich auch eine Woche lang um sie. So lernen sie auch ein Stück Verantwortung.“
Schulleiter Christian Gierke nickt zustimmend und ergänzt: „Wir erleben auch immer wieder, dass sich das soziale Miteinander nachhaltig bessert, weil die Kinder der verschiedenen Jahrgangsstufen in den Gruppen gemischt werden.“ Feuerschlucker René absolviert derweil weiter seine Übungen. „Vielleicht“, überlegt der Neunjährige laut, „werde ich später zum Zirkus gehen.“
Gar nicht so abwegig — einige Talente wurden während des Projekts bereits von Karola Casselly und ihren Familienmitgliedern entdeckt. „Wir geben unseren Eindruck dann an die Eltern weiter. So manches Kind ist später auf die Artistenschule in Berlin gekommen.“