Zu Besuch bei den Hildener Schäfchen

Markus Hanten hält mit seiner Familie eine kleine Herde mit acht Mutterschafen, einem Bock und ihren Jungtieren.

Foto: Stephan Köhlen

Hilden. Linda heißt das Zugschaf mit dem intelligenten Gesicht. Sie ist diejenige, die die Herde in die richtige Richtung lenkt, diejenige, die von ihren ersten Lebenstagen an zutraulich war und immer an der Seite von Markus Hanten.

Der 44-Jährige ist Hildens Schäfer, aber seine zuletzt 22 Tiere zählende Herde ist geschrumpft. Seit beinahe zwei Jahren grasen nicht mehr seine Schafe auf den Heideflächen etwa am Kesselsweier, sondern rund 60 Tiere der Familie Hennemann aus Haan. Im Zuge des Vertragsnaturschutzes beweiden Hennemanns Schafe mehrere Flächen im Auftrag des Kreises Mettmann. Das bedeutet, der Bauer bekommt Zuschüsse des Landes dafür, dass er für mehrere Jahre die Pflicht zur Beweidung wahrnimmt: eine Landschaftsschutzmaßnahme.

Hanten berichtet, für ihn, der nicht von der Schafzucht lebt, habe es sich nicht mehr gelohnt. Zumal das Ziehen „über die Wiesen und Äcker“ angesichts der dichten Bebauung immer schwieriger werde. Nun stehen nur noch acht Mutterschafe und ein Bock auf der Wiese neben Stall und Haus an der Beckersheide. Lindas Mit-Schafe wurden im vergangenen Jahr zum Teil verkauft, zum Teil auch geschlachtet.

Ist also nichts dran am Jahrtausende alten Ausspruch, dass der Schäfer seinem Schaf nichts antue — sondern es nur für seine Wolle halte und es schere? „Wir leben von der Landmetzgerei und der Brauerei“, sagt Hanten sehr nüchtern — und meint mit „wir“ auch Frau Heidrun (51) und Tochter Josina (9).

Schafe haben in der christlichen und vor allem in der Weihnachtsgeschichte eine wichtige Bedeutung. Sehr häufig werden in der Bibel Gleichnisse mit Schafen und Hirten gezogen. Christus ist das „Agnus Dei“, das Lamm Gottes, das sich für die Sünden der Menschen opferte. Gott ist der Hirte, der die Menschen sicher zum Ort der Erlösung geleitet. Und einfache Schafhirten waren es, die — womöglich mit ihren Tieren — auf Geheiß des Engels als erste am Stall in Betlehem eintrafen, um den Heiland zu sehen. In Krippendarstellungen dürfen Schafe nicht fehlen.

Mythologie und Wirklichkeit: Heidrun Hanten zieht die Metapher von Jesus als Lamm Gottes heran, um das Schlachten von Schafen zu beschreiben. „Sie wehren sich niemals, geben keinen Laut von sich“, hat sie beobachtet. Merkwürdig sei das schon, das klingt durch bei ihrer Erzählung, denn dumm seien die Tiere ganz und gar nicht. In Strukturen, die sie kennen, seien sie sogar ausgesprochen schlau. Kennen den Weg zur Weide nach nur einem Gang. Wissen, wo das Loch im Zaun ist, das ein menschlicher Dummkopf soeben hinein geschnitten hat. Auf den Hof gehört auch Kerstin Müller.

Die 27-Jährige ist Auszubildende zur Metzgerin, sicher eine Seltenheit, „aber ich bin nicht allein“ sagt sie, darauf angesprochen. „Ich wollte etwas Handwerkliches machen“, erzählt die junge Frau, für die es der zweite Ausbildungsweg ist. Zucht und Haltung von Tieren sind ihr wichtig, „mit industrieller Fleischproduktion habe ich nichts zu tun“. Spricht’s — und geht Richtung Stall, in dem die Schafe und der Schwarzkopfbock bei Nässe und größerer Kälte übernachten.

Überhaupt: Nacht. Spielt die Heilige Nacht eine Rolle für die Schafe? Benehmen sie sich anders als in anderen Nächten? „Nein“, so etwas habe er in seinen 18 Jahren mit Schafen noch nicht bemerkt, sagte Markus Hanten. Dennoch sind Nächte wichtig im Leben der Schafe: „Die Lämmer kommen immer nachts, das entsprechende Mutterschaf sondert sich von der Herde ab und bringt ihr Lamm zur Welt.“ Für Februar wird die nächste Generation an der Beckersheide erwartet.

Gerade gelaufen ist das Krippenspiel, das die Familie jedes Jahr im Advent auf dem Vorhof veranstaltet. Seit 2003 führen hier Kinder für Kinder die Weihnachtsgeschichte auf. Für Hanten gehört es dazu, der Stadt und der Gegend, in der man lebt, auch etwas zurückzugeben. Sie ein kleines Stück liebenswerter zu machen: Was wäre wohl gewonnen, wenn das jeder täte?

Vor einigen Tagen waren wieder einmal 50 Kinder da, um mitzuspielen, zuzuschauen, jauchzend die Strohballen auseinender zu nehmen oder einfach die Schäfchen zu besuchen. Die schauen derweil äußerst interessiert in die Richtung der Besucher, kauen genüsslich an ihrem Heu und warten. Wahrscheinlich — auf Weihnachten.