Die Glocken von St. Gereon läuten heute das Christfest ein

Die schwerste Glocke wiegt eineinviertel Tonnen. Das Geläut hat eine bewegte Vergangenheit.

Foto: Dirk Thomé

Monheim. Für die kleine Olivia (4) bedeutet Kirchenglockenklang vor allem eins: „Babcia, du musst arbeiten!“ „Babcia“, das ist Polnisch und bedeutet „Oma“. Egal wo Olivia mit ihrer Oma ist, sagt sie, wenn sie Kirchenglocken hört: „Babcia, du musst arbeiten.“ Großmutter Malgorzata Slawecki ist nämlich Küsterin von St. Gereon in Monheim. Heute, am Heiligen Abend, muss die Oma tatsächlich arbeiten. Zunächst vor der Familienchristmette um 16 Uhr, dann vor der „großen“ Christmette um 18 Uhr. Wie vor jeder anderen Messe wird die 52-Jährige die Gewänder der Geistlichen und die Messbücher zurechtlegen sowie Brot und Wein vorbereiten.

Foto: Ralph Matzerath

Doch eines gibt es nur an Heiligabend: „Bereits eine halbe Stunde vor der Mette schalte ich die größte Glocke, Nummer 1, an. Danach, zehn Minuten später, stimmen auch die übrigen vier Glocken in das Geläut mit ein“, erklärt die aus Oberschlesien stammende Küsterin. Nachzulesen ist das in der „Läuteordnung“, die neben den Glockenknöpfen in der Sakristei hängt. Kirchenglocken faszinieren uns Menschen von Kindesbeinen an. Pfarrer Burkhard Hoffmann (66) erlebt dies nicht nur bei Führungen hoch im Glockenturm von St. Gereon wie zuletzt beim Tag des offenen Denkmals im September. „Am meisten Spaß haben die Kinder in der Marienkapelle am Rhein. Dort dürfen sie am Strick der Glocke ziehen. Und bei Hochzeiten wird auch schon mal der Bräutigam fürs Läuten eingespannt“, erzählt der Geistliche mit einem Schmunzeln um die Mundwinkel.

St.-Gereon-Organistin Ute Merten (56) ist zwar noch keine Oma, aber auch für sie gilt: Glockengeläut gleich Job. „Mit den Kirchenglocken ist es so wie beim Orgelspiel und der Musik überhaupt: Sie wecken Emotionen oder vertiefen diese“, beschreibt die Kirchenmusikerin ihr Verhältnis zum sakralen Geläut. Es steigert die Stimmung bei Beerdigungen, wenn nur die Glocke mit dem tiefsten Ton geschlagen wird, aber auch bei Freudenfesten wie Hochzeiten, Ostern oder eben Weihnachten. „Nur bei solchen Hochämtern erklingen an St. Gereon alle fünf Glocken.“ Sie selbst stimmt am Orgelpult in das Hochgeläut mit ein: „Ich übernehme die Glockentöne d, fis und a. Im Zusammenspiel ergibt das D-Dur. Diese Tonart macht einen fröhlich!“

Um das Faszinosum Kirchenglocken wussten und wissen auch die Führer totalitärer Ersatzreligionen. Deshalb erstaunt es nicht, dass die Nationalsozialisten drei Tage vor Pfingsten 1942 die beiden größeren der damals drei Glocken aus dem St.-Gereon-Turm herausholen und fortschaffen ließen — als Rohstoff für ihren „totalen Krieg“. Als der auf Deutschland zurückschlug, sank der Turm, durch Phosphor-Granaten in Brand gesetzt, in sich zusammen. „Die einzige im Kriege verbliebene Glocke schmolz“, heißt es in der Pfarrchronik über den Abend des 26. März 1945.

Wie durch ein Wunder tauchten die beiden großen, 1779 im Schelmenturm gegossenen Glocken nach dem Krieg wieder auf: „Sie wurden auf einem ,Glockenfriedhof’ in Hamburg unzerstört aufgefunden und im September 1947 zurück nach Monheim gebracht“, berichtet Peter Buter (81) vom Pfarrarchiv. Die durch den Frontbeschuss im März 1945 vernichtete dritte Glocke wurde 1954 durch eine neue ersetzt. 1963 kamen zwei weitere, kleinere Glocken hinzu. Das Gewichtsspektrum des Geläuts reicht seitdem von 305 Kilogramm bis zu eineinviertel Tonnen. Heute läuten die fünf Glocken von St. Gereon das Christfest in Monheim ein.