Eine Reise durch die absurde Realität

Hagen Rether begeistert 600 Zuschauer in der Aula am Berliner Ring.

Monheim. Noch lässt er auf sich warten. Das Licht ist bereits seit einer Minute aus, der Saal vollbesetzt, aber kein Ton ist zu hören. Weder aus den Reihen der 600 gespannt wartenden Zuschauer, noch von der leeren Bühne der Aula am Berliner Ring. Und dann kommt er doch. Eher beiläufig, wie bei einem zufälligen Treffen beim Spazierengehen scheint Hagen Rether das Publikum zu registrieren, sagt freundlich „Guten Abend“ und setzt sich langsam auf den Stuhl neben dem Flügel.

„Monheim wieder“, sagt der Kabarettist und atmet tief durch. Das wird er häufiger tun, wenn er in den nächsten drei Stunden über die Absurditäten der globalen Realität sinniert. Drunter tut es der 41 Jahre alte Essener nicht. Er braucht diese 180 Minuten, um seine Botschaft loszuwerden. Die so lautet, wie sein Programm seit Jahren heißt: Liebe.

Liebe und Harmonie sind der rote Faden von Rethers Reise durch die Welten, durch die Zeiten. Immer wieder lautet seine Lösung für die Konflikte der Menschheit: „Einfach nett sein.“ Diesen Satz sagt der mit allen wichtigen Kabarettpreisen ausgezeichnete Rether häufig. Manchmal fast um Hilfe flehend, manchmal überzeugend, manchmal dabei schelmisch grinsend.

Er könnte wohl auch fünf Stunden reden, ohne dass ihm oder dem Publikum auch nur eine Sekunde langweilig wäre. Über Religion, den Papst („Man ist ja schon mit so wenig zufrieden. Wenn der einfach mal den Mund halten würde.“) und den Dalai Lama („Der Peter Lustig für enttäuschte Christen.“).

Über den die Dritte Welt ausbeutenden Kapitalismus, die Finanzkrise und die verkürzte Kommunismus-Debatte im vergangenen Herbst („Haben sie auch so wahnsinnige Angst vor dem Stalinismus?“). Über den Voyeurismus, die Wiederholungen und die Ablenkungsdebatten in den Medien („Wir haben sonntags die Wahl zwischen Tatort und Volksmusik. Also auf jeden Fall Gewalt.“) Über die aktuelle Demokratiebewegung in Nordafrika und das jahrelang moralisch verwerfliche Verhalten der westlichen Welt. Über die vorgeschobenen Gründe für den Afghanistan-Krieg („Wenn wir jetzt alle Staaten bombardieren, in denen Frauenhasser an der Macht sind, haben wir viel zu tun. Wir können ja mal mit Italien anfangen.“)

Über Massentierhaltung und Fleischkonsum. Über naturliebende Weltreisende und die CO2-Bilanz eines Flugzeugs. Über aufstrebende und gefallene Politiker. Über den Alltagsrassismus in der Gesellschaft. Und über diese „Volvo-Werbung“, in der wir leben. Dabei wirkt er nie verbittert oder oberlehrerhaft, sondern immer höflich.

Er ist ein Meister des Timings. Ein Meister des Unerwarteten. Manchmal bleibt dem Publikum das Lachen im Halse stecken. Denn eigentlich ist auch gar nicht alles lustig, was Rether erzählt. Es ist die absurd klingende Realität. Nach drei Stunden ist er fertig. Während des minutenlangen Applauses bleibt Rether nur noch eins zu sagen: „Seien sie nett zu ihren Kindern.“