Frustriert, fassungslos und wütend
Die SPD ist in der Krise. Ein Besuch beim Ortsverein Langenfeld bei Bratkartoffeln und Hering.
Langenfeld. Seit mehr als 20 Jahren lädt die Langenfelder SPD für Aschermittwoch zum Heringsessen ein. Stand es im vorigen Jahr noch im hellen Licht von Shooting-Star Martin Schulz, so wirkt die SPD diesmal abgenagt wie nie: Der Komet Schulz ist verglüht — und so war von dem Glanz, der am 1. März 2017 das Sängerheim des Quartettvereins Gladbach erfüllte, kein Schimmer mehr übrig. Zur Erinnerung: Damals stellte die SPD noch eine — im beginnenden Landtagswahlkampf siegesgewisse — NRW-Ministerpräsidentin.
Was also empfinden die Langenfelder Genossen im Allzeittief? Jetzt, nach den Berliner Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU, über deren Ergebnis sie nun abzustimmen haben? Viele — dies wurde beim Fischessen deutlich — sind frustriert, fassungslos und, ja, zornig. „In den letzten 14 Tagen wurde so viel verkehrt gemacht, das ist unvorstellbar“, meint etwa Christa Kosche. „Wäre das in einem Betrieb passiert, wären viele entlassen worden.“
Die 74-Jährige ist seit 1970 Mitglied der SPD und wundert sich darüber, dass derzeit nicht mehr Leute austreten. „Man kann die Rage der Basis verstehen.“ Von einem Außenminister Sigmar Gabriel hätte Kosche „mehr Niveau erwartet“. Gemeint ist dessen Tochter-Zitat über Schulz, den „Mann mit den Haaren im Gesicht“. Die Langenfelderin ist gegen eine Große Koalition. Die SPD werde bei allem auf der Strecke bleiben, befürchtet sie. „Ich habe kein Vertrauen mehr.“
Auch Kurt Jaegeler ist „im Moment eher gegen eine Groko.“ Der 66-Jährige würde viel lieber „die Frau Merkel mal ans Arbeiten bringen“ — nach Lage der Dinge dann in einer Minderheitsregierung. Außerdem gebe es wichtige Themen und Inhalte, die derzeit zu kurz kämen. „Armut und sozialer Wohnungsbau, der auch für Langenfeld sehr wichtig ist.“ Dem Ratsherrn, seit 2008 in der SPD, fehlen nach eigenen Worten einige Themen — „Themen, die das Sozialdemokratische ausmachen.“ Auch Jaegeler zeigt sich schockiert von den letzten öffentlichen Auftritten der Parteispitze: „Man sollte doch versuchen, mit seinen Mitmenschen vernünftig umzugehen.“ Er verstehe nicht, warum Schulz nun „in der Versenkung verschwunden ist“.
Eine Verbindung mit den Linken sieht Jaegeler durchaus als Alternative an: „Ich verstehe nicht, warum die immer so verteufelt wurden.“ Joachim Herzig, ebenfalls Ratsherr, befürwortet dagegen eine Groko. „Einen Tod muss man sterben“, meint der 50-Jährige, der bereits seit 32 Jahren in der SPD ist. „Ich bin dafür wegen der Inhalte. Die wurden vernünftig ausgehandelt.“ Allerdings verurteilt auch Herzig die Art, wie die Parteiführung mit Martin Schulz umgegangen ist. „Meiner Meinung nach hat man ihn ins offene Messer laufen lassen.“ Hoffnung setzt Herzig in Simone Lange, die Oberbürgermeisterin von Flensburg, die sich bereiterklärt hat, gegen Andrea Nahles für den SPD-Parteivorsitz zu kandidieren. „Das kann ein Neuanfang sein.“
Trotz der aktuell üblen Lage der SPD verzeichnet der Langenfelder Ortsverein nach eigenen Angaben seit Januar 25 Neueintritte. „Ich habe alle angeschrieben und einige haben mir sofort geantwortet, dass sie sich politisch engagieren wollen“, sagt dazu die Ortsvorsitzende Heike Lützenkirchen. Motivation der meisten Neulinge sei der Einzug der rechten AfD in den Bundestag.