Geschwister verbindet besonderes Band
Heute am 10. April ist der Aktionstag „Geschwister“. Familientherapeutin Andrea Schmidtke erzählt über ihre vielseitigen Erfahrungen in der Beratung.
Monheim. Brüder und Schwestern lieben und zoffen sich ein Leben lang. Manche trennen mehrere Jahre, andere nur ein Jahr. Andere wachsen als Einzelkinder auf. Die Konstellationen, in denen Kinder groß werden, sind vielfältig. Andrea Schmidtke (53), Diplom-Sozialarbeiterin und systemische Familientherapeutin im Beratungscentrum Monheim berichtet anlässlich des Aktionstages „Geschwister“ am 10. April über ihre vielseitigen Erfahrungen.
Inzwischen wächst in Deutschland fast jedes zweite Kind ohne Geschwister auf, warum ist das so?
Andrea Schmidtke: Bei uns in der Beratung sind viele Paare mit zwei oder mehr Kindern. Dass Kinder ohne Geschwister aufwachsen, kann finanzielle und berufliche Gründe haben. Viele möchten schnell wieder in den Job einsteigen. Das lässt sich mit einem Kind leichter organisieren, als mit mehreren. Eltern konzentrieren sich manchmal auch nur auf ein Kind, weil sie die Sorge haben, bei zweien oder dreien nicht alle Bedürfnisse und Wünsche berücksichtigen zu können. Außerdem sind Kinder trotz Kindergeld und vieler Zuschüsse teuer. Je höher der soziale Status einer Familie ist, desto weniger Kinder leben dort in der Regel. Man will sich auch mit Kindern noch etwas leisten können.
Sind Einzelkinder tatsächlich unsozial und egoistisch?
Schmidtke: Im Gegenteil. Eltern erziehen Einzelkinder oft besonders sozial und bringen sie bewusst in Kontakt zu anderen, beispielsweise in Sportvereinen.
Kinder brauchen andere Kinder. Doch auch, wenn man Geschwister hat, sind das selten die Spielkameraden. Stattdessen gibt es sogar Streit und Machtkämpfe. Warum?
Schmidtke: Einerseits spielt die Konkurrenz untereinander eine große Rolle — es geht darum, die Zuneigung der Eltern zu erlangen. Kinder versuchen, sich so eine Position innerhalb der Familie zu erkämpfen. Das ist im Prinzip ein Training, um im Leben später die eigene Identität zu finden. Andererseits kann Streit in einer vertrauten Beziehung eine Möglichkeit sein, sich auszupro-bieren.
Die Beziehung zur Schwester oder zum Bruder ist oft die längste im Leben. Das bedeutet auch, sich immer wieder zu arrangieren. Was lernen Kinder dabei?
Schmidtke: Sie lernen, Kompromisse zu schließen und andere Meinungen zu tolerieren. Sie lernen so aber auch, auszuhalten, dass nicht alle ihre Bedürfnisse befriedigt werden können.
Sollen oder können Eltern alle Kinder gleich behandeln oder muss es andere Strategien in der Erziehung geben?
Schmidtke: Sowohl als auch. Jedes Kind bringt aber von Geburt an andere Fähigkeiten mit. Eltern sollten dies berücksichtigen und ihre Kinder gerecht behandeln. Es darf durchaus unterschiedliche Regeln geben. Die 15-Jährige muss beispielsweise nicht zur selben Zeit schlafen gehen wie ihr neunjähriger Bruder.
Im Gegenzug können Geschwister sich gegen die Eltern verbünden. Das schweißt zusammen. Einzelkinder bleiben da Einzelkämpfer. Was lernen sie jeweils fürs Leben?
Schmidtke: Einzelkinder lernen, dass sie alleine sind. Es kann sein, dass sie die Eltern deshalb als übermächtig erleben. Sie machen dann vielleicht die Dinge alleine mit sich aus, oder sie suchen Verbündete, beispielsweise die Großeltern. Geschwister verbünden sich nicht unbedingt gemeinsam gegen die Eltern. Sie erproben vielleicht auch unterschiedliche Strategien, um ans Ziel zu kommen.
Wie beeinflussen Eltern das Verhalten ihrer Kinder untereinander?
Schmidtke: Das Verhältnis der Eltern überträgt sich auf die Kinder. Sie haben, oft unbewusst, eine Vorbildfunktion. Das bezieht sich darauf, wie sie miteinander umgehen, was sie vorleben. Wer dauernd mit dem Smartphone spielt, kann es den Kindern kaum verbieten.
Was, wenn sich Geschwister nicht mögen?
Schmidtke: Das tritt meistens nur phasenweise auf, und nach einiger Zeit ist wieder alles im Lot. Das ist für Eltern manchmal schwer nachvollziehbar. Oft hat es aber auch damit zu tun, dass die Eltern ein Kind bevorzugen. Das andere möchte sich dann mehr Aufmerksamkeit verschaffen. Dass sich Geschwister gar nicht mehr verstehen, ist eine Entwicklung, die oft erst im Erwachsenenalter einsetzt. Konflikte können beispielsweise aufgrund von Erbschaftsstreitigkeiten entstehen.