Hilden: Von ausgesuchter Schönheit
Die WZ testet die neue Kirchenorgel von St. Marien – und benotet sie mit „hervorragend“.
Hilden. Um es vorweg zu sagen: Die Antworten sind "1016" und "hervorragend". Das zunächst unscheinbar, ja klein wirkende Gehäuse der neuen Orgel in der St.Marien-Kirche beherbergt insgesamt 1016 Pfeifen - jede einzelne von ausgesuchter Qualität und in bester Handwerksarbeit hergestellt. Aber wie klingt das Instrument? WZ-Mitarbeiter Oliver Richters - selbst Kirchenmusiker - hat die Orgel getestet: Sie ist hervorragend.
Der Test beginnt mit dem Herzstück der Orgel, dem Register "Prinzipal". Ein alter Satz des frühbarocken Samuel Scheidt klingt hinreißend - zart und doch kräftig. Für das Solospiel ist eine geeignete Zungenstimme, bei der der Ton ähnlich wie bei der Mundharmonika gebildet wird, von besonderer Bedeutung. Eine entsprechende Solo-Zunge ist aber nicht zu sehen, nur die Trompete, die in den meisten Orgeln viel zu stark und plärrend für solch eine diffizile Aufgabe ist.
Hier aber nicht: In Bachs "Ich ruf zu dir" klingt sie lyrisch und hält sich edel zurück. In anderen Stücken ist sie dagegen quicklebendig, langt herzhaft zu. Vor allem in der Bassregion. Diese Unterschiede in den einzelnen Registern sind immer wieder zu beobachten. So klingen schon wenige Register, die zusammen gezogen werden, so vielgestaltig wie ein ganzes Orchester.
Kirchenmusiker Carlos Reigardas ist die Freude über das neue Instrument im Gesicht abzulesen. Sein Enthusiasmus ist nachvollziehbar. Jede Pfeifenart (ein so genanntes Register) hat Charakter und Persönlichkeit - und verbindet sich doch aufs Beste mit seinen Gefährten. Obwohl die Klänge mit viel Kraft und Präsenz klingen, sind sie doch nie aufdringlich oder unangenehm scharf.
Als Einzelstimmen sind sie von ausgesuchter Schönheit, im vielstimmigen Pfeifenchor ergänzen sich Kraft, Lebendigkeit und Eleganz. Hinzu kommt, dass die historische Stimmung einige Tonarten besonders rein und schön gestaltet. Nur im Bass fehlt noch einiges an Kraft. Deshalb werden noch zwei Pfeifenreihen neu gebaut und ergänzt. Sind die beiden Reihen eingebaut, wird die Kombination von Orgel und Kirchenraum perfekt sein.
"Als ich hörte, dass diese Orgel in Bremerhaven verkauft werden sollte, habe ich sie mir vor Ort angesehen und sofort zugeschlagen", sagt Reigardas. Die Orgel ist quasi ein Waisenkind: Die Kirche, für die sie einst erbaut wurde, ist nun abgerissen. Gebaut hatte sie Christian Lobback aus Uetersen bei Hamburg im Jahre 1986. Der Orgelbauer hat unter Fachleuten einen ausgezeichneten Ruf.
Doch jede Orgel ist eine Maßanfertigung für den Raum, für den sie erbaut wurde, weshalb sie noch für den größeren und akustisch anders beschaffenen Kirchenraum in St. Marien eingerichtet werden musste. Ein Studienfreund von Reigardas hat Pfeife für Pfeife den Klang so verändert, dass er den ganzen Raum ausfüllen kann.
Ein Ortswechsel unter Orgeln ist nicht ungewöhnlich. Auch das alte Kircheninstrument aus St.Marien wird weiter Musikfreunde erfreuen: Sie stammt ursprünglich aus Essen und stammt vom berühmten Orgelbauer Walcker. Auch sie war von guter Qualität, aber für den Kirchenraum viel zu klein. Nun ist sie in ein Nonnenkloster in die Nähe von Krakau/Polen verkauft.