Monheim: Blind – für fünf Minuten

Aktion: Auf Einladung des Lions Clubs besucht die Christoffel Blindenmission drei Monheimer Schulen.

Monheim. Özgür zieht die Brille auf und zuckt zusammen. "Ich sehe ja wirklich fast nichts mehr. Alles ist so dunkel. Wo muss ich denn jetzt lang?", fragt der Zwölfjährige. "Ganz vorsichtig, Schritt für Schritt den Gang entlang", weist Verena Freund, Studentin mit Fachrichtung soziale Arbeit, ihn an. Sie erinnert Özgür an die Technik: "Den Stock in die Schreibhand. Dann locker mit dem Handgelenk hin und her pendeln." Das ist keine neue Trendsportart, sondern nachempfundene Realität: Der Zwölfjährige wird in die Situation eines Blinden versetzt.

Özgür ist eines der Kinder der Klasse 6a, die an diesem Mittwochmorgen einen Blinden-Parcours mit ungewohnten Sinnen erleben. Die Spezialbrille lässt sie nur noch hell und dunkel unterscheiden - als hätten sie die Augenkrankheit Grauer Star. Zehn Meter lang ist der Weg in einem speziell dafür umgerüsteten Bus. Die Christoffel Blindenmission (cbm) macht es möglich. Die Organisation setzt sich weltweit für Menschen mit Behinderungen ein. An diesem Morgen besucht sie die Lise-Meitner-Realschule.

Özgür tastet sich mit dem Blindenstock vorwärts. "Oh!" Eine Stufe ertastet der Junge erst im letzten Augenblick mit den Füßen. Beim Tritt auf ein Gitterrost stutzt er, wird noch vorsichtiger. Er sieht ja nichts. Dann der Wechsel auf Sand. Özgür bleibt erst einmal irritiert stehen. Er ertastet Holz. Eine Wand. Er tastet sich in die andere Richtung weiter. Plötzlich geht er auf Steinen. Dann berührt ihn etwas von der Decke. Der Zwölfjährige bleibt kurz verdutzt mit einem "Was ist das denn?" stehen. Schließlich hat er den Parcours von zehn Metern geschafft - in fünf Minuten.

"Die Strecke ist in Zusammenarbeit mit Blinden eingerichtet worden. Unterschiedliches Bodenmaterial von Gummi über Sand bis zu Brettern ist ebenso wichtig wie ein Kopfhindernis, hier in Form eines geflochtenen Vorhangs", erläutert Verena Freund. Es sind alles Situationen, wie sie Blinde tagtäglich erleben.

In der Mitte des Parcours ist ein afrikanischer Brunnen nachgebaut. Damit soll an die Situation dort erinnert werden. Viele Kinder könnten mit einer Operation, die gerade einmal 30Euro kostet, vom Grauen Star geheilt werden. Aber oft ist das Geld nicht da. Was bleibt, ist der Weg in die endgültige Blindheit.

Auf diesen Missstand machen auch die Lions-Clubs weltweit aufmerksam. Deshalb hat der Monheimer Ableger "Alte Freiheit" mit Präsident Peter Kröger an der Spitze den cbm-Spezialbus organisiert. "Ich habe bei allen weiterführenden Schulen nachgefragt. Mitmachen werden jetzt an zwei Tagen neben der Realschule noch die Comenius-Schule und die Anton-Schwarz-Schule", sagt Kröger. Neben dem Parcours gibt es noch einen Informationsfilm über die Situation Behinderter in armen Ländern. Außerdem wird die Blindenschrift erklärt. Die fünften und sechsten Klassen sind dabei.

Jana kommt sichtlich irritiert aus dem Bus. "Das ist ja die totale Umstellung", erzählt die Elfjährige. "Da kam irgendwann auch was von oben", sagt sie. Und auch Klassenlehrerin Monika Kaußen grübelt noch, was das denn alles war auf den zehn Metern. Özgür fachsimpelt mit einem Kumpel. Doch erst wenn die ganze Klasse durch ist, lüftet Verena Freund das Geheimnis. Dann dürfen alle Kinder noch einmal über die Zehn-Meter-Distanz - diesmal ohne Grauen Star.