Fossilien landen auf dem Prüftisch
Im Neanderthal Museum nehmen Experten Fundstücke unter die Lupe. Bei manch einem Besucher ist die Enttäuschung groß.
Mettmann. Gerhard Bönig breitet Steine und Knochenstücke im Seminarraum des Neanderthal Museums aus. Es sind Oberflächenfunde aus der näheren Umgebung und er ist gekommen, um von Anna Riethus und Florian Gumboldt eine fachliche Meinung einzuholen. Sind die Steine von Menschen genutzte Werkzeuge? Von welchem Tier stammen die Knochenstücke? Stammen sie gar von einem Menschen? Dies möchte der Hobby-Steinzeitkundler heute von der Archäologin und dem Biologen erfahren.
Anna Riethus, Archäologin
Solche Hoffnungen sind beim Bestimmungstag üblich. Es erscheinen nicht nur versierte und leidenschaftliche Jäger und Sammler. Gerhard Bönig ist so einer, sondern auch Laien, die beim Spaziergehen am Feldrand zufällig verdächtige Objekte, sprich Tonscherben oder Knochen beziehungsweise Metallstücke gefunden haben. „Es gibt in der deutschen Bevölkerung ein reges Interesse an der Archäologie“, erklärt Riethus. „Viele Leute gehen in ihrer Freizeit auf Suche nach Fundstücken aus der Vergangenheit“. Aber es passiere auch häufiger, dass im Nachlass eines Verstorbenen Dinge gefunden werden, die scheinbar archäologischer Natur sein könnten.
Ob frisch gefunden im Neandertal oder auf dem Dachboden eines Verwandten — beim Bestimmungstag des Museums werden diese Fundstücke beurteilt. Riethus und Gumboldt bringen die Fachexpertise mit: „Wir bestimmen hier, ob es sich tatsächlich um ein archäologisches Objekt handelt oder nicht“. Das bietet Stoff für Diskussionen: „Gerade bei Sammlern spielt persönliche Leidenschaft eine Rolle“, meint Gumboldt. „Selbstverständlich möchten diese Leute einmal im Leben das Exemplar schlechthin gefunden haben. Die Enttäuschung ist groß, wenn wir ein vielversprechendes Fundstück als harmlosen Stein identifizieren“.
Riethus dreht die Steine von Bönig in ihren Händen, streicht über Wölbungen, Kanten und Linienmuster. Sie sagt, sie suche nach „Merkmalen intentioneller Bearbeitung“ und macht zunehmend ein skeptisches Gesicht. Die Chancen, hier einen Faustkeil zu haben, ein wichtiges Werkzeug unserer frühen Vorfahren, stünden eher schlecht. „Der Faustkeil ist das Schweizer Taschenmesser der Steinzeit“, scherzt Gumboldt. Der Biologe ist dabei, die Knochenstücke zu untersuchen. Bönig ist sehr gespannt und hält Riethus und Gumboldt auf Trab: Wenn er spricht, erscheint beim Zuhörer die Geologie des halben Neandertals vor dem inneren Auge; er kennt jede noch so kleine topographische Begebenheit beim Namen und er weiß, wo in der Umgebung eiszeitliche Lößschichten abgelagert sind.
Er lebt in Gerresheim, wuchs aber in Goslar auf, wo er früh mit den Gesteinen und Bergwerken des Harzes in Berührung kam. Dann meldet sich Gumboldt zu Wort. Das Knochenstück habe tierischen Ursprung: „Entweder Pferd oder Rind. Jedenfalls ein Stück vom Extremitätenknochen eines Nutztieres“. Draußen auf dem Flur warten weitere Besucher auf die Einschätzung ihrer Fundstücke. Riethus und Gumboldt stellen jedem eine halbe Stunde zur Verfügung. Gerhard Bönig hat mit seinen interessanten Stücken dreißig Minuten überzogen und vermutlich wird er beim nächsten Bestimmungstag wiederkommen. Mit einem frischen Schwung an Steinen oder Scherben oder Metallstücken.