Auswirkungen der Corona-Pandemie „Wir erwarten die große Welle noch“

Mettmann. · Kurzarbeit führt bei vielen zu finanziellen Engpässen, weil ihnen Teile von Lohn und Gehalt fehlen.

Ulrike Fröschke und Thomas Rasch von der Schuldnerberatung. Sie helfen Menschen in schwierigen finanziellen Situationen.

Foto: Köhlen, Stephan (teph)

Wer in finanzielle Notlage geraten ist, findet in der Caritas-Schuldnerberatung Ansprechpartner. Bereichsleiter Thomas Rasch und Schuldnerberaterin Ulrike Fröschke sprechen über ihre Arbeit und die Auswirkungen der Pandemie.

Wird in den Beratungen die Zunahme von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit durch den Lockdown bemerkbar?

Ulrike Fröschke: Es hat schon Anfragen wegen Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit gegeben. Wenn plötzlich nur noch 67 Prozent des Gehalts fließen, macht das ein leeres Portemonnaie.
Thomas Rasch: Der Kreis Mettmann zählt aktuell etwa 3000 Arbeitslose, knapp ein Prozent mehr als im Vorjahr. Hinzu kommen 65 000 Kurzarbeiter in fast 5000 Betrieben. Und ich fürchte, das ist erst der Anfang.

Nehmen die Beratungsgespräche durch Corona zu?

Rasch: Obwohl Corona-bedingt keinerlei Zuweisungen vom Jobcenter gemacht wurden, haben wir unsere Beratungszahlen gehalten, was auf vermehrten Zulauf selbst motivierter Ratsuchender schließen lässt.
Fröschke: Vermutlich werden wir in unserer Arbeit die Auswirkungen von Corona erst später spüren. Wir erwarten die große Welle von Anfragen erst noch.

Was bringt die Menschen derzeit in Bedrängnis?

Rasch: Wenn sie mit dem bisherigen Einkommen gerade so ausgekommen sind und dann fallen durch Kurzarbeit 33 Prozent weg.

Gibt es ein typisches Beispiel für die aktuelle Lage?

Fröschke: Ein Familienvater hat angerufen, mit zwei Kindern, die Frau hochschwanger, der war völlig aufgelöst und sagte: Ich kann all meine Rechnungen nicht mehr zahlen. Er war in Kurzarbeit und der Arbeitgeber stockte nicht auf. Meine erste Aufgabe war es, ihm emotionale Unterstützung anzubieten, um anschließend mit ihm gemeinsam auf die Fakten zu schauen und individuelle Lösungsansätze zu erarbeiten, wie zum Beispiel Stundungen, Einsparungen oder Beantragung ergänzender öffentlicher Leistungen.

Heißt das, es trifft vor allem Familienväter besonders hart?

Rasch: Nein, nicht unbedingt. Es trifft alle hart, die plötzlich mit deutlich weniger Geld auskommen müssen.
Fröschke: Es kann auch Leute treffen, die in gut bezahlten Jobs tätig sind, wenn sie keine Rücklagen haben.

Was tut die Schuldnerberatung, um den Menschen zu helfen?

Fröschke: Wir motivieren die Leute, aktiv zu werden, auf Kreditgeber oder Vermieter zuzugehen, individuelle Lösungen auszuhandeln. Es ist wichtig, dass sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen.
Rasch: Wir sind eine psychosoziale Beratungsstelle. Ziel unserer Arbeit ist immer die Autonomie des Hilfesuchenden. Wir beziehen seine Lebensumstände in die Beratung ein und helfen ihm, seine Angelegenheiten wieder selbständig zu bewältigen.

Wie läuft die Beratung in Corona-Zeiten ab?

Rasch: Als die Landesregierung im März Ausgangsbeschränkungen verkündete, haben wir uns Gedanken gemacht, wie wir den Menschen dennoch gerecht werden können. Also haben wir unsere Dienste technisch aufgerüstet um Videotelefonie anbieten zu können und unsere Wartezone zu einem Beratungsraum mit den entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen umgebaut. Vieles läuft seitdem aber auch über das Telefon.

Was sagen Sie zu den aktuellen Konsumempfehlungen, zur Mehrwertsteuersenkung? Steigern sie das Risiko zur Überschuldung?

Fröschke: Das ist schwer zu prognostizieren. Im alltäglichen Konsum macht sich die Reduzierung wahrscheinlich gar nicht so bemerkbar. Es ist aber vorstellbar, dass Menschen das Gefühl „Sonderangebot“ entwickeln und größere Anschaffungen tätigen, die dann vielleicht auch ihre tatsächlichen finanziellen Möglichkeiten überschreiten könnten.
Rasch: Ich vermute, dass die Leute, die nun viel Zeit zu Hause verbringen, vor dem Internet sitzen und einkaufen, schon wesentlich gefährdeter sind.