Interview mit Thomas Rasch von der Caritas Mettmann „Das Wichtigste ist ein offenes Ohr“

Mettmann · Obdachlose Frauen und Geflüchtete – in Mettmann gibt es viele Menschen in Not. Die Caritas hilft.

Thomas Rasch betreut und hilft mit der Caritas Obdachlosen und Geflüchteten.

Foto: Köhlen, Stephan (teph)

Für viele Menschen sind obdachlose Frauen kaum sichtbar, und damit auch kein Thema. Das ist bei der Caritas anders, wie Bereichsleiter Thomas Rasch vom Caritasverband Mettmann weiß. In Mettmann gibt es viele Menschen in Not.

Ein Schwerpunkt der Caritas-Arbeit ist ein Projekt, das sich um suchtkranke, eigentlich obdachlose Frauen kümmert. Die sind auf den Straßen Mettmanns selten sichtbar – gibt es die überhaupt?

Thomas Rasch: Am Stichtag 01.08.21 wurden 78 Frauen in städtischen Obdachlosenunterkünften im Kreis Mettmann gezählt. Zugleich zählten die Wohlfahrtsverbände 130 Frauen ohne festen Wohnsitz. In den 10 Städten des Kreises zeigt sich Wohnungslosigkeit nicht wie in Großstädten. Sehr selten leben hier Frauen wirklich auf der Straße. Eher sind sie versucht ihre Wohnungslosigkeit zu verstecken, sie sind im öffentlichen Raum oder auch Gemeinschaftsunterkünften häufig Gewalt und sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Deshalb wohnen sie sehr oft ohne eigenen Mietvertrag bei Freund*innen, Verwandten oder auch Fremden im Unterschlupf und begeben sich in extreme Abhängigkeitsverhältnisse zum Couch- oder Bettgeber. Deshalb fällt Wohnungsnot von Frauen nicht so in den Blick. Im Übrigen – und das gilt auch für Männer – gibt es für Wohnungslose im gesamten Kreis in Unterschied zu den umliegenden Städten keine niedrigschwellige Notschlafstelle. Bei jedem Wetter. Da ist die Couch des Kumpels alternativlos.

Was kann die Caritas
für die Frauen tun?

Rasch: Weil uns das Land im Projekt  „Endlich ein Zuhause“  mit einer 50 Prozent Personalstelle Streetwork für suchtkranke Wohnungslose fördert, können wir Frauen an den Orten aufsuchen, an denen sie sich aufhalten, tagsüber an den öffentlichen „Szene-Treffpunkten“, im Tagestreff der Wohnungslosenhilfe, in ihren Schlupfwinkeln oder an von den Frauen gewünschten Treffpunkten. Wir ermutigen sie, sich aus Abhängigkeitsverhältnissen zu lösen, helfen bei Suchterkrankung, vermitteln in medizinische und psychiatrische Hilfe, unterstützen in Zusammenarbeit mit der Fachberatung Wohnungslosenhilfe unterstützen wir bei Existenzsicherung und Wohnungssuche.

Was hat absolute Priorität?

Rasch: Besonders wichtig ist für die Frauen einen Ort der Ruhe und Sicherheit zu finden. Dies kann für ein paar Stunden am Tag der Tagestreff der Wohnungslosenhilfe in Mettmann sein. Dort können sie sich ohne Verzehrzwang aufhalten, erhalten zu essen, können duschen und Wäsche waschen und in geschützter Atmosphäre zur Ruhe kommen. Das Wichtigste ist jedoch ein offenes Ohr für die Frauen zu haben, sie anzunehmen, Ihnen vorurteilsfrei zuzuhören und mit Ihnen gemeinsam individuell richtige Lösungen zu entwickeln. 

Im Osten Europas nimmt der Flüchtlingsstrom wieder zu. Macht Ihnen das Sorge – denn die Caritas kümmert sich um Geflüchtete?

Rasch: Stimmt: es kommen nun Menschen über „neue Wege“ in die EU und wollen oft nach Deutschland. Unseres Erachtens gibt es keinerlei Grund, hier über zu reagieren, denn es handelt sich bislang um – relativ gesehen - ein paar wenige, die unser Land problemlos versorgen könnte. Auch wenn BILD bereits skandalisiert. Wir wären froh, wenn angesichts dieses furchtbaren Unglücks, in das die Menschen durch den ruchlosen Schlepper und EU-Erpresser Lukaschenko geraten sind, keine neue Hysterie und Angst vor Zuwanderern geschürt würde. Die Menschenrechte sind wesentlicher Bestandteil unseres Grundgesetzes.

Wie sieht die Situation
in Mettmann aus?

Rasch: Die Caritas kümmert sich intensiv um die Geflüchteten, die bereits in Mettmann leben. Viele von ihnen könnten die Gemeinschaftsunterkunft verlassen, weil sie längst anerkannt sind – es gibt aber keine Wohnungen. Wie können sie diesen Menschen helfen auf einem Wohnungsmarkt, der nur wenig freien, bezahlbaren Wohnraum schafft?

Die Caritas kümmert sich sehr intensiv um hier lebende Geflüchtete. Tatsächlich leben viele mangels Alternative noch in Gemeinschaftsunterkünfte, gehen von dort (!) in Arbeit und Schule.  Der angespannte Wohnungsmarkt ist ja bekannt und von daher leicht vorstellbar, wie schwer es Zugewanderten ist, Vorurteile ihnen gegenüber und auch puren Alltagsrassismus zu überwinden oder zu ertragen. Dennoch ist Vermittlung in privaten Wohnraum - die Schaffung eines zu Hause! – ein kleiner Arbeitsschwerpunkt der Caritas, den auch die Stadt Mettmann  mit fördert.

Wie begegnen Sie
dieser Situation?

Rasch: Hilfreich sind unsere Kontakte zu Vermietern, unser Vermieternetzwerk. Wir wissen, wen wir wohin vermitteln, weil wir unsere Klient*innen kennen. Wir bereiten sie auf die Lebens- und Mietverhältnisse in der neuen Heimat vor und erreichen derart passende Vermittlungen. Bislang belegen dies durchweg positive Erfahrungen und Rückmeldungen, die wir auch in anderen Städten gewinnen konnten. So konnten auch in Mettmann zwei Familien (davon eine 9 köpfige) und 4 alleinstehende Personen vermittelt werden.

Keine Wohnung – keine Arbeit – da geht Geflüchteten oft die Motivation verloren, sich um ihre Zukunft zu kümmern. Die Caritas bietet eine „Perspektivberatung“ an. Was ist darunter zu verstehen?

Rasch: Viele Geflüchtete sind gerade im Vergleich mit uns sehr leidensfähig. Die Flucht hat ihnen schon Unvorstellbares abverlangt. Wir erleben viele Menschen, die dennoch aktiv in die Zukunft schauen. Gelernte Berufe und reale Möglichkeiten am Arbeitsmarkt passen leider oft nicht übereinander. Dennoch gibt es immer wieder Bereitschaft, auch zunächst fremde Tätigkeiten zu übernehmen. Wir helfen hier aktiv mit den Menschen Perspektiven zu finden. Besonders groß ist das Engagement stets, ihre eigenen Kinder in eine gute schulische und berufliche Zukunft zu begleiten.

Manchmal läuft es
nicht wie gewünscht.

Rasch: Perspektivberatung bedeutet aber auch, Geflüchtete Menschen kompetent und einfühlsam zu begleiten, wenn die Lebensaussichten aufgrund des nicht erreichten Aufenthalts in Deutschland neu eingestellt werden müssen. Die Beschäftigung mit Fragen zur Rückkehr ins Heimatland ist oft sehr schwer und schmerzvoll. Auch hierbei finden Hilfesuchende bei der Caritas Hilfe.