Die Linie 712 geht auf ihre letzte Fahrt

Mit der Eröffnung der Wehrhahn-Linie schlägt für die Ratinger Straßenbahn das letzte Stündlein.

Foto: Wilhelm Budde

Ratingen. Fahrgäste können heutzutage ohne Zweifel einfacher in die Linie 712 einsteigen oder sie verlassen, mehr Ecken in Düsseldorf erreichen — doch die alten Bahnen waren mit Besonderheiten ausgestattet, die der Reisende sich heute nicht mehr vorstellen kann. Ein Beispiel: Als die Bahn-Verbindungslinie zwischen Ratingen und Düsseldorf noch „12“ hieß, führte sie hoch oben am Dach ein elegantes, leicht gebauchtes Emailleschild mit den beiden Ziffern.

Bis in die letzten 50er Jahre wurden Bahnen gebaut, deren Zugwagen an beiden Enden offene, wenngleich überdachte Plattformen hatte, die man Perron nannte. Oft rannten Fahrgäste, die zu spät dran waren, hinter den Bahnen her und sprangen dort auf. Gelegentlich gab es furchtbare Unglücke dabei. Wer es allerdings heil geschafft hatte, gelangte in den mittleren, geschlossenen und im Winter beheizten Wagenteil, in dem er feinste Messinggriffe gleichzeitig mit dem Daumen entsperrte und zu den Seiten zog.

Der Schaffner, der im Zugwagen Dienst schob, war befugt, eine schlappe Lederleine in Kopfhöhe zu betätigen und mit einmaligem Klingeln die Abfahrt, mit zweimal Klingeln den Halt und mit mehrfachem Betätigen einen Nothalt zu signalisieren. Die wenigen Groschen, die die Fahrt kostete (mit Ausnahme des Herbstes 1923, als Fahrpreise von 80 000 bis in die Millionen gehende Reichsmark-Summen verlangt wurden) landeten in einem Metallbehälter namens Wechsler. Der hatte Schächte, die jeweils passenden Münzen Platz boten und die mit einem Lederbeutel fürs Papiergeld ausgestattet waren.

War es dem Schaffner zu kalt, kassierte er durch ein heruntergelassenes Kläppchen aus dem Innern des Wagens die Fahrgäste auf dem Perron ab. Später mussten die Fahrgäste durch die hinterste Tür einsteigen, weil der Schaffner sitzend hinter einem Pult residierte und die Fahrkarten verkaufte. Dies alles geschah in Uniform. Und Haltestellen wurden live über einen Lautsprecher verkündet.

Lebenserhaltend und bis auf einen Vorfall im Jahr 1982 unfallfrei funktionierte die Sache mit dem Staffelholz: An der Stadtgrenze gab es eine Strecke, die nur einzügig befahren werden konnte. Das bedeutete allerdings, dass der Fahrer, der die Strecke befahren hatte, bei ten Eicken einen Holzstab an den entgegen kommenden Fahrer weiterreichte, der seine Fahrt dann gefahrlos nach Ratingen fortsetzen durfte.

Mehrfach hat die Stadtverwaltung beantragt, dass bei geplanten Bauvorhaben der Linie 12 deren Gleise bis zum Markt verlängert werden sollten. Das geschah nicht, wohl aber wurde die Bahn jahrelang, als es noch keine Schleife gab, aufs einfallsreichste für Hin- und Herfahrt positioniert. Sie fuhr ungefähr bis zur Wallstraße. Dann wurde der Triebwagen abgekoppelt, ein bisschen weiter gefahren und über eine umgelegte Weiche an den anderen Wagen vorbei und zurück bis etwa in die Höhe der Hausnummer 42 gefahren. Bei Übermut wurde mit Sand gebremst. Wilhelm Budde, der auch mit 80 Jahren noch Bahnmärchen aus dem Effeff erzählen kann, tut das gelegentlich bei Oldie-Fahrten. Er ist „Stadterklärer“ und für die Rheinbahn unterwegs.

Die Haltestellen waren heimelig: Da gab es „Mädchenheim“ (an der Stadtgrenze) „Caritasheim“ (hinter Rath) und, besonders schön: „Honigheim“. Diese Haltestelle hieß eigentlich Mörsenbroicher Weg, die benachbarte Kneipe aber Honigheim. Und einmal fuhr auch ein Sarg mit der Linie 12 von Düsseldorf nach Ratingen: Auf der Todesanzeige des Zimmermanns Peter Brinckmann, 1897 verstorben, steht: „Seinen Sarg transportiert die Rheinbahn bis zur Endhaltestelle in Ratingen. Die Leidtragenden werden gebeten, sich um 4 Uhr am Düsseldorfer Thor zu versammeln.“