Ratingen Für Jamal zählt Glück mehr als Geld

Jamal Khalaf entdeckte ein Portemonnaie mit 4000 Euro und gab es auf der Wache ab. Er bekam 20 Euro Finderlohn.

Foto: Achim Blazy

Ratingen. Jamal Khalaf hat im Irak als Landwirt gearbeitet, reich ist er nie gewesen. Aber der Familienvater weiß, was richtig im Leben ist und was falsch. „Ich bin mit meiner Familie nach Deutschland gekommen, um in Sicherheit und Frieden leben zu können, nicht um mich zu bereichern“, erzählt der 36-Jährige. Die Khalafs sind Jesiden, kommen aus der Stadt Sinjar. Als der Islamische Staat (IS) auf die Stadt vorrückte, blieb nicht viel Zeit: fliehen oder sterben waren die Alternativen.

Es war ein regnerischer Nachmittag, als Vater Khalaf seinen Sohn von der Albert-Schweitzer-Schule abholen wollte, als er plötzlich eine Ein-Euro-Münze auf dem Boden liegen sah: „Ich wollte sie aufheben, da habe ich gesehen, dass einige Meter weiter am Straßenrand eine Brieftasche lag, die schon ganz aufgeweicht war.“

Khalaf nahm sie und traute seinen Augen nicht: „Es war so unglaublich viel Geld da drin, so was hatte ich noch nie gesehen“, erinnert er sich. Dazu kamen Kreditkarten, Ausweise und persönliche Gegenstände: „Genau nachgeschaut habe ich nicht, das geht mich nichts an. Es gehörte schließlich nicht mir.“

Das machten später die Polizisten auf der Ratinger Wache, zu der der vierfache Vater mit einem Freund, der bereits Deutsch spricht, mit seinem Fund ging: Fast 4000 Euro fanden sie — und den Euro von der Straße, denn den hatte Jamal Khalaf auch hineingelegt: „Wenn ich das Geld genommen hätte, hätte ich ja jemanden unglücklich gemacht. Und das kommt für mich nicht in Frage.“

Dabei wären 4000 Euro die Rettung für einen seiner Brüder gewesen, der noch im Irak feststeckt: 2000 Dollar pro Person verlangen Schlepper nämlich, um ihn in die Türkei zu bringen. „Wir haben so viel Schreckliches auf der Flucht gesehen. Ich wünsche mir nichts mehr, als dass meine Kinder in Frieden und Sicherheit aufwachsen können, wir genug zu essen und irgendwann vielleicht eine kleine Wohnung haben. Ich möchte niemandem zur Last fallen“, erzählt er und gerät ins Stocken.

Man merkt, er hat viel Schreckliches gesehen — sowohl auf der Flucht als auch in dem türkischen Flüchtlingslager, in dem es keine Heizung, nur selten Strom und fließend Wasser gab. Khalafs Vater starb dort, weil es nahezu keine medizinische Hilfe gab: „Da haben wir uns auf den Weg gemacht, um unseren Kindern eine bessere Perspektive in Deutschland zu geben.“

Aber nicht nur solch eine Geschichte gibt Hoffnung. Einige Kilometer entfernt in Hösel bedanken und verabschieden sich die Flüchtlinge, die einige Monate in der Turnhalle gewohnt haben, mit einem großen Plakat für die Hilfe und die Freundlichkeit, die ihnen die Höseler entgegengebracht haben. Und das, obwohl die Stimmung im Stadtteil zum Beispiel auf der Infoveranstaltung der Stadt im Herbst alles andere als gastfreundlich gewesen war.

Doch hier scheint es wirklich funktioniert zu haben. Und wer das Plakat sieht, der glaubt den Worten von Sozialdezernent Rolf Steuwe, der immer wieder gerne von Hösel erzählt: „Als wir die Menschen aus der Turnhalle in andere Unterkünfte vermittelt haben, waren viele Höseler wirklich traurig, dass sie Abschied nehmen mussten.“ Was nur wenige geglaubt hatten, ist eingetroffen: Hier wurden durch das Miteinander tatsächlich Ängste und Vorurteile abgebaut.

Khalaf bekam übrigens einen Finderlohn: 20 Euro.