Neuanfang in Südafrika
13 Jahre war Pfarrer Michael Diezun in der Gemeinde Lintorf tätig. Nun folgt er einem Job-Angebot und zieht nach Johannesburg.
Lintorf. 22 Ringbücher liegen übereinandergestapelt auf dem Tisch. Pfarrer Michael Diezun blickt sie nachdenklich an. 13 Jahre lang hat er Geschichten aus Lintorf aufgeschrieben, Geschichten aus dem Miteinander und Füreinander der kleinen Gemeinde, der er so lange vorgestanden hat. Lustig, traurig, schräg — aber alles Geschichten, die gut nachvollziehbar sind. Das 23. Ringbuch wird dagegen einen ganz anderen Inhalt haben.
Pfarrer Michael Diezun verlässt Lintorf, um sich einer ganz neuen Herausforderung zu stellen: Die Evangelische Kirche Deutschland hat ihn als Pfarrer in die Gemeinden Midrand und Kelvin bei Johannesburg in Südafrika berufen — und er hat angenommen.
Sein Flieger geht am 29. August. „Ich schwanke zwischen riesiger Vorfreude und Unsicherheit“, sagt Pfarrer Diezun. „Es ist eine große Chance, eine Möglichkeit, mein Leben noch einmal komplett zu ändern. Die Kinder sind aus dem Haus, alles ist geordnet — ich habe die Freiheit, diese Herausforderung anzunehmen. Aber wenn ich dann meine ganzen Sachen verpacke oder aussortiere und darüber nachdenke, dass ich unter Fremden sein werde — dann frage ich mich schon: ,Wo gehe ich da hin?’ Niemand kennt mich dort, ich bin erst mal allein.“
Auch die Sprache bereitet ihm Kopfzerbrechen. Die beiden Gemeinden bestehen hauptsächlich aus englischsprachigen Schwarzen. „Mein Englisch ist nicht das Beste“, sagt er. Auch über die Sprachbarriere hinaus gibt es Schwierigkeiten: „Die Folgen der Apartheid sind in Südafrika immer noch zu spüren. Es gibt eine weiße und eine schwarze Kirche — der Dialog zwischen beiden ist schwierig.“ Aber dann fangen seine Augen an zu leuchten, denn das ist sie: die Möglichkeit, Menschen zu erreichen und ihnen bei der Annäherung zu helfen.
„Ich bin dort eine neutrale Person“, sagt er. „Ich gehöre keinem afrikanischem Stamm an, ich bin kein Industrieller, kein Machthaber vor Ort. Ich bin einfach nur ein Pfarrer, der von der Gemeinde bezahlt wird. Das ist eine große Chance.“
Die Gemeinde ist noch jung — vor elf Jahren wurde sie in einer Garage gegründet. Danach bauten die Gemeindemitglieder einen Pferdestall zum Gemeindesaal um. Jetzt ist der Bau einer Kirche mit Gemeindesaal und Nebenräumen geplant. Dabei ist es nicht so sehr der kulturelle Unterschied, der Pfarrer Diezun Sorgen macht.
„Ich hatte auch das Vorurteil, dass in Afrika alles viel intensiver und leidenschaftlicher ablaufen würde, als im eher gesetzten Deutschland. Aber ,meine’ Gemeinde ist eine Mittelstandsgemeinde — und es scheint, je reicher man ist, desto gesetzter wird man“, sagt er verschmitzt.
Die Energie und die Aufbruchstimmung, die dieser junggebliebene Pfarrer verbreitet, sind spürbar. Und tatsächlich kann der Ratinger ein bisschen neidisch sein, auf die schwarze Gemeinde, die ihn nun als Oberhaupt bekommt und beobachten darf, wie er sich seinen Weg sucht: zwischen Gesangsbüchern von 1956, reichen Industriellen und Arbeitern mit dem Rauch der Holzfeuer an der Sonntagskleidung, zwischen afrikanischer Tradition und deutscher Moderne — auf Englisch mit charmantem deutschen Akzent.