Toiletten aus Ratingen: Der Pionier des Wasser-Klosetts
In der Ratinger Tonwarenfabrik wurden ab 1903 erstmals Toiletten im großen Stil produziert. Firmengründer Twyford hatte die Erfindung aus England mitgebracht.
Ratingen. Als vor 110 Jahren der Engländer Thomas William Twyford im Ratinger Westen eine kleine Tonwarenfabrik gründete, konnte er nicht ahnen, welchen Welterfolg sein Unternehmen einmal haben würde. Und heute können die Ratinger, wenn sie genau hinsehen, rund um den Globus ein Stückchen Heimat entdecken: den dezenten Schriftzug „Keramag“ auf Waschbecken oder Toiletten.
Die Sanitärprodukte finden sich in der Dresdner Semperoper, in der Lufthansa-Hauptverwaltung, im Leipziger Gewandhaus sowie in Luxushotels überall auf der Welt. Und das Waschbeckenmodell „Preciosa“ in seiner unverwechselbaren Kombination von Kreis und Rechteck ist sogar als Kunstobjekt ins New Yorker Museum of Modern Art zu sehen.
Eine solche Entwicklung hätte Twyford 1903 nicht einmal zu träumen gewagt. Ihn trieben damals rein wirtschaftliche Interessen. In seiner Heimat hatte es gegen Ende des 19. Jahrhunderts nach der industriellen auch eine sanitäre Revolution gegeben: die Erfindung des „water closet“, was eine blühende Steingutindustrie zur Folge hatte.
Deutschland war im Vergleich dazu noch Entwicklungsland. Als aber das WC um die Jahrhundertwende hier gesundheitspolitisch vorgeschrieben wurde und immer mehr Städte eine Kanalisation bekamen, erkannte Twyford das riesige Marktpotenzial und nutzte die Gunst der Stunde.
Mit der Firmengründung in Ratingen konnte er die hohen Einfuhrzölle für die englischen Fertigwaren umgehen. Mit 280 Arbeitern nahm der Betrieb 1903 die Produktion auf, bereits 1914 zählte die Tonwarenfabrik 550 Mitarbeiter.
Landsleute Twyfords hatten eine ähnliche Idee und gründeten in Wesel und Flörsheim weitere Feuertonfabriken. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges wurden die „Keramischen Werke“ gegründet — als Zusammenschluss der drei beschlagnahmten britischen Werke.
1918 wurde das Unternehmen zur Aktiengesellschaft Keramag mit Firmensitz in Bonn. Acht Jahre später übernahmen die britischen Familien John Slater und Jocelyne Walker („Johnny Walker“) die Aktienmehrheit.
Im Zweiten Weltkrieg kam die Keramag als „feindliches Vermögen“ unter Zwangsverwaltung, die Nachfrage nach Sanitärkeramik blieb unverändert hoch. Nach Kriegsende profitierte Ratingen davon, dass die Produktionsanlagen von Bombenangriffen verschont geblieben waren: Die Produktion konnte sofort wieder aufgenommen werden. Und so kam auch die Hauptverwaltung nach Ratingen.
Mit der Neustrukturierung des Unternehmens wurde dort die Produktion eingestellt und nach Wesel verlagert. Der Standort Ratingen bekam Anfang der 1990er-Jahre eine neue Hauptverwaltung: Dort werden Konzepte entwickelt, Trends gesetzt und Innovationen geschaffen.
Längst zählt nicht nur die rationelle Herstellung von Toiletten oder Waschbecken zum Geschäft, mindestens genau so wichtig sind Design und Funktionalität — Voraussetzungen, um Marktführer zu bleiben, wie Vorstand Michael Hellmund bestätigt.
Deshalb stehen auch namhafte Designer im Dienst des Unternehmens, um mit ihren Entwürfen Trends zu setzen. Das zeigt auch ein Blick in den 200 Quadratmeter großen Showroom: Diese Bäder haben mit Nasszellen nichts mehr gemein. Was früher die repräsentative Schrankwand im Wohnzimmer war, ist heute das Designerbad.