23 Gräber erzählen eine Geschichte

Kerstin Griese (MdB) nahm einen Besuch auf dem jüdischen Friedhof in Neviges zum Anlass für einen Blick in die Historie.

Foto: Simone Bahrmann

Neviges. Wie mühsam es gewesen sein muss, die Toten zu ihrer letzten Ruhestätte zu bringen. Der jüdische Friedhof auf der Kuhlendahler Höhe in Neviges ist nur zu Fuß über einen steilen Anstieg zu erreichen. Viele Wanderer, von den schönen Weitblicken ins Tal abgelenkt, haben das unscheinbare grüne Tor sicher schon übersehen. Dahinter stehen 23 moosbedeckte Steine, die teils schief im Boden stecken, als würden sie sich gegen den Hügel stemmen.

Eine Wanderung zu diesem versteckten Ort unternahm gestern Bundestagsabgeordnete Kerstin Griese im Rahmen der SPD-Sommertour in Velbert. „Dieser Termin führt mich sozusagen zurück zu meinen Wurzeln“, erklärte Griese. Nach ihrem Studium der Geschichte und Politikwissenschaften arbeitete sie jahrelang als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf. Die perfekte Begleiterin also für eine Reise in die Vergangenheit der Juden vor Ort. Das Wetter traf den passenden Ton: Es regnete.

Im Herzogtum Berg war Juden der Aufenthalt grundsätzlich verboten, so Griese. Mitte des 17. Jahrhunderts ist das Judenattribut eingeführt worden. Juden mussten für ihren Schutz bezahlen, sonst waren sie vogelfrei.

Kein Wunder, dass 1694 gerade einmal drei Juden in Neviges lebten. Bis 1804 erhöhte sich die Zahl jedoch auf 158. Viele zog es schon damals nach Elberfeld, wo es eine Synagoge gab. 1830 entstand bei den Nachbarn in Langenberg ein Treffpunkt in privaten Räumlichkeiten.

Erst die französische Revolution legte auch für die Juden in dieser Region den Grundstein für eine Gleichstellung. In Preußen wurden Juden 1869 rechtlich gleichgestellt. Bis das auch auf das soziale Leben zutraf, war es noch ein steiniger Weg. Um 1900 wird die jüdische Gemeinde in Velbert größer, ihre Mitglieder dürfen erstmals im Stadtrat sitzen.

Den Wandel dokumentiert indirekt der Friedhof in Neviges, auf dem zwischen 1791 und 1929 Menschen bestattet wurden. „Die Assimilation der Juden lässt sich auch an den Namen nachvollziehen“, sagt Kerstin Griese. Auf dem 970 Quadratmeter großen Friedhof in Neviges sind die Inschriften der älteren Steine noch auf hebräisch. Auf den neusten ist deutsche Schrift eingraviert und es tauchen Namen wie Adolf und Betti auf.

Blumen sucht man auf jüdischen Friedhöfen vergebens. Als Grabschmuck liegen kleine Steine auf den großen Platten. Die Gräber sind nach Osten ausgerichtet, wo am jüngsten Tag die Erscheinung des Messias erwartet wird.

Als auf dem Friedhof schon keine Beisetzungen mehr stattfanden, begann das dunkelste Kapitel für die Juden vor Ort. 1933 lebten laut Griese nur noch 58 jüdische Bürger in Velbert. Es ist dokumenteiert, dass bei der Reichspogromnacht 1938 sechs Männer aus Velbert ins KZ nach Dachau gebracht worden sind. 1940 nutzten 30 Juden die letzte Möglichkeit zur Emigration. Alle Verbliebenen wurden in Vernichtungslagern ermordet.

Den Friedhof verschonten die Nationalsozialisten jedoch. Trotzdem hinterließen sie ihre Spur: Im Zweiten Weltkrieg entstand auf dem Hang ein Sammelgrab für 30 russische Zwangsarbeiter.