Velbert Als der Lazarettzug in Neviges fuhr

Langenberg. · Autor Jürgen Lohbeck beschreibt ein wenig bekanntes Kapitel des Ersten Weltkriegs.

Der Langenberger Gottfried Conze junior (vorne Mitte) fuhr im Ersten Weltkrieg als Begleitoffizier in dem Lazarettzug mit, der von den Bürgern seiner Stadt gespendet worden war.

Foto: Scala Verlag Velbert/Scala Verlag

In der Reihe „Velbert im Quadrat“ hat der Scala Verlag unterschiedliche Blickwinkel auf Besonderheiten der Stadt gerichtet, unter anderem auf den Neviges Mariendom, auf die Geschichte der Bleiberg­quelle oder die lange Tradition der Schloss- und Beschlagindustrie. Mit dem jüngsten Band wird ein heute fast vergessenes Kapitel des Ersten Weltkrieges in den Fokus genommen: Der Vereinslazarettzug Y3 Langenberg/Rheinland. Bei der Beschäftigung mit dem Langenberger Eisenbahnausbesserungswerk stieß Jürgen Lohbeck, der einiges Verborgenes aus der Velberter Geschichte ans Licht brachte, auf diese Sanitätseinrichtung.

Hobbyhistoriker stieß auf einen Bild- und Feldpostnachlass

„Das ist keine Neuentdeckung, aber ich habe neues Material dazu entdeckt“, sagt Lohbeck. Im Zuge der Recherchen wurde der Hobbyhistoriker im Internet auf den Bild- und Feldpostnachlass eines Dr. August von Oy aufmerksam, der in Düsseldorf versteigert wurde. Die Sammlung fand für 1250 Euro einen neuen Besitzer. Das Auktionshaus erlaubte, die noch vorhandenen, eingescannten Fotos für eine Buchveröffentlichung zu verwenden. Dr. von Oy, der Sohn eines angesehenen Amtmanns in dem münsterländischen Laer, war niedergelassener Arzt in Elberfeld, bevor er von 1915 bis 1918 auf dem rollenden Lazarett im Einsatz war.

Neben den staatlichen Lazarettzügen gab es private, die so genannten „Vereinslazarettzüge“. Der „Y3“ wurde durch die Stadt Langenberg unterstützt. „Erste Aufrufe für Spenden gab es 1914, dem bereits 68 namhafte Bürger folgten. Im Stadtarchiv sind zwei Akten zu diesem Zug vorhanden“, hat Jürgen Lohbeck herausgefunden. Als Begleitoffizier fuhren der Langenberger Fabrikant Gottfried Conze junior und noch einige Pfleger des Deutschen Roten Kreuzes aus der Seidenweberstadt mit, die meisten kamen aus der gesamten Rheinprovinz. Bei den Zugärzten handelte es sich zumeist um Mediziner aus Barmen und Elberfeld, bei den Krankenschwestern um Diakonissen aus Kaiserswerth. Eine davon war Katharine Landgrebe, die sich 1918 in Langenberg niederließ und bis 1952 am dortigen Krankenhaus wirkte.

Die noch leeren Waggons wurden im Langenberger Eisenbahnwerk an der Voßkuhlstraße ausgerüstet. Die 38 zumeist zweiachsigen Wagen brachten den Zug auf die stolze Länge von 450 Metern. Neben den je 25 Krankenwagen für je zehn Verwundete gab es einen besonderen für die Offiziere. Auch die Ärzte und der Chefarzt bekamen einen eigenen Waggon, dazu weitere für das medizinische Personal. Ein Küchenwagen und weitere für die Vorratshaltung machten den Zug einsatzfertig.

Am 19. März 1915 rollte
der Zug an die Westfront

Wegen seiner großen Länge wurde er geteilt und auf zwei Gleisen der Holzhandlung Lumbeck der Öffentlichkeit präsentiert, bevor er am 19. März 1915 mit dem damals üblichen, heute befremdlichen patriotischen Pathos an die Westfront in die Region Rethel/Charville geschickt wurde. Die dort aufgenommenen Verwundeten wurden am 23. März in Freiburg/Breisgau auf die dortigen Lazarette verteilt. Anschaulich beschreibt eine Langenberger Gymnasiastin, wie sich die anfangs naive Kriegsbegeisterung zur Erkenntnis veränderte, dass Kaiser und Feldherrn „sinnlos und skrupellos Menschenleben aufs Spiel gesetzt hatten“.

Obwohl der „Y3“ mit dem deutlichen Kennzeichen des Roten Kreuzes unter dem Schutz der Genfer Konvention stand, wurde er im August 1918 Ziel eines Bombenabwurfs, eine unbekannte Zahl von Verwundeten starb, ebenso sieben Pfleger, darunter ein Langenberger.

In 94 Fahrten mit 120 000 zurückgelegten Kilometern wurden 23 732 Verwundete zurückgebracht. 1919 baute man die Waggons in Langenberg wieder in normale Bahnfahrzeuge um.

Historische Aufnahmen täuschen über das Grauen hinweg

Die Fotos vom dem teils feiernden und lachenden Personal täuschen über das Elend hinweg, das mit diesem Zug durchs Land rollte. „Die Bilder stellen nicht das Grauen dar, das in diesem Zug geherrscht hat“, ist Autor Jürgen Lohbeck überzeugt.