Neviges Als die Edelweißpiraten von Tönisheide nach Neviges zogen

Neviges. · „Was lange währt, wird endlich gut“, meint Autor Rainer Köster. Sein Buch über Widerstand und Verfolgung in Neviges in den Jahren von 1933 bis 1945 soll ab dem 26. September endlich in den Verkauf kommen.

 Die Zeit des Nationalsozialismus endet mit Zerstörungen: Bei einem Luftangriff im April 1944 wurde die Klosterstraße stark getroffen.

Die Zeit des Nationalsozialismus endet mit Zerstörungen: Bei einem Luftangriff im April 1944 wurde die Klosterstraße stark getroffen.

Foto: Stadtarchiv Velbert

Der pensionierte Gesamtschullehrer und Politiker der Linkspartei hat für mehrere Städte im Kreis Mettmann die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft untersucht. Neben vielen Aussagen von Zeitzeugen durchstöberte er die Archive der Städte und des Landes, um an Quellen zu kommen. „Leider lassen sich verschiedene Berichte und vor allen Fotos nicht veröffentlichen, weil die Rechtslage nicht geklärt ist“, bedauert der Historiker.

Nach der Machtübernahme versuchten sich die Nationalsozialisten in der Bevölkerung beliebt zu machen: „Sie erreichten, dass die Preise für Grundnahrungsmittel geringer wurden, ähnlich war es bei den Mieten und Bekleidung. In der Kriegszeit kam es wieder zu steigenden Preisen und zu Lebensmittelkarten.“ Köster möchte mit Halbwahrheiten aufräumen, etwa mit der Behauptung, dass nach 1933 die Erwerbslosen verschwanden. „1936 gab es noch eine Million Arbeitslose, die wurden zu Arbeiten an Autobahnbaustellen und Entwässerungsprojekten verpflichtet. Was auch weniger bekannt ist, dass Doppelverdiener und Frauen aus Beschäftigungsverhältnissen abgezogen wurden, Mädchen schickte man ins Pflichtjahr. Zeitzeuginnen berichten, dass sie für 25 Pfennig am Tag beziehungsweise 7,50 Reichsmark im Monat gearbeitet hatten. Das war eine Art Taschengeld, darunter waren bereits Leute, die einen Beruf hatten.“

Auch in Neviges gab es Streiks wegen falscher Lohnversprechen

Gegen die schlechte Bezahlung gab es Widerstand, es kam tatsächlich zu Streiks, so zum Beispiel an der Autobahnbaustelle in Hubbelrath. Streiks entwickelten sich auch in Neviges, wo nach dem Einzug in die Tschechei 1938 Vertragsarbeiter aus dem annektierten Gebiet in einer großen Ziegelei beschäftigt waren. „Die waren mit der Bezahlung unzufrieden und zogen mit Protestlosungen zur Polizeistation, sie wollten ihre Löhne haben. Es gab einen Eklat und großes Staunen. Sie wurde nicht drangsaliert, aber die Nazis waren sehr erzürnt, die Werksleiter wurden abgestraft,“ berichtete Rainer Köster seinen Zuhörern bei der Vorstellung des Buches im Awo-Treff Neviges. Mit falschen Versprechungen nach dem Motto „Wer ordentlich arbeitet, der verdient ordentlich“, wurden Fremdarbeiter aus den besetzten Gebieten angelockt, aber sie erhielten höchsten 60 Prozent des Lohns, dazu kamen weitere Abgaben. Kriegsgefangene aus der Sowjetunion galten als „Untermenschen“, sie bekamen nichts. In der Rangfolge etwas höher angesehen waren die Polen.

Nach dem Krieg kam es zur Selbstjustiz unter den befreiten Zwangsarbeitern, die Rache an ihren Peinigern nahmen. So wurde in einem Nevigeser Betrieb eine Frau gesteinigt, weil sie Nahrungsmittel den Zwangsarbeitern unterschlagen hatte. Gelder, die durch das Winterhilfswerk zur Unterstützung Bedürftiger gesammelt hatte, hatten Nazibonzen unterschlagen. „15 000 Reichsmark war damals eine gewaltige Summe. Der NSDAP-Kreisleiter hat es für einen Pkw, private Radios, Uniformen und Pferdewetten ausgegeben. Durch einen Gnadenerlass des Führers wurde er nicht zur Rechenschaft gezogen.“ Auch in Neviges gab es ein Verfahren gegen den Leiter des Winterhilfswerks.

Besonders liegt es Rainer Köster am Herzen, auf die Edelweißpiraten hinzuweisen, die in Neviges und im gesamten Rheinland eine größere Rolle spielten. Die unangepassten Jugendlichen und jungen Erwachsenen zogen gerne vom Schlagbaum auf Tönisheide nach Neviges hinunter, wo sie in einer Gaststätte Schmählieder auf die Hitlerjugend anstimmten und durch diese verprügelt wurden. „Bei den Verhören durch die Gestapo wurden die Edelweißpiraten bestimmt nicht mit Samthandschuhen angefasst“, so Köster.