Die Sucht kommt schleichend
Janette Bönig und Gertrud Schreiber haben "Regenbogen" eine Selbsthilfegruppe für alkoholabhängige Frauen, gegründet - eine von ganz wenigen bundesweit.
Ratingen. Am Anfang war der Cognac für Christa richtig nützlich. Wenn ihr das Leben mal wieder über den Kopf gewachsen war, wenn sie nicht mehr wusste, wie sie leidenschaftliche Ehefrau, treusorgende Mutter und smarte Geschäftsfrau in einer Person sein sollte - dann machte ein Gläschen aus dem Küchenschrank die Welt wieder erträglich. Das zweite nahm die Last von den Schultern, das dritte machte den Kopf frei - Cognac war wunderbar.
Gertrud Schreiber kennt das auch. Sie sitzt an einem der hellen Holztische im Statt-Café und erinnert sich. "Am Anfang war das ja eine tolle Zeit", sagt sie. Neben ihr nickt Janette Bönig: "Ich möchte das auch nicht missen. Doch irgendwann verselbständigt sich das." Irgendwann wird der Alkohol zur Krankheit, eine, die schleichend kommt und sich hartnäckig einnistet.
Gertrud Schreiber und Janette Bönig haben gemacht, was gemeinhin als das beste Mittel gegen jede Sucht gilt: Sie haben darüber gesprochen. Und tun es immer noch. Seit ein paar Wochen treffen sie sich jeden Dienstag mit anderen Frauen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. "Regenbogen" heißt die erste Ratinger Selbsthilfegruppe für alkoholabhängige Frauen. Es ist eine von ganz wenigen bundesweit. Acht Frauen kamen zum jüngsten Treffen, das Alter bunt gemischt.
Warum eine Gruppe nur für Frauen? "Wenn Männer dabei sind, öffnen sich Frauen nicht so", hat Gertrud Schreiber festgestellt. Dabei geht es genau um das Sich-öffnen, darum, sich dem eigenen Leben zu stellen. "Mut, Stärke, Offenheit, Hoffnung, Vertrauen, Zuversicht", steht neben dem Regenbogen, den sich die Gruppe als Symbol gewählt hat. Alles Begriffe, die in den Treffen gelebt werden. So gilt zum Beispiel: Alles was während der Treffen besprochen wird, bleibt im Raum, wird nicht nach außen getragen. "Wir gehen sehr vorsichtig, sehr liebevoll miteinander um", versucht es Bönig zu beschreiben. Das Ergebnis davon ist ein hohes Vertrauen zueinander.
"Wer zum Beispiel erzählt, dass er einen Rückfall gebaut hat, wird nicht niedergemacht", sagt Gertrud Schreiber. Sie hat diese Situation selbst erst im Winter erlebt, hat sich sofort Hilfe gesucht - und wurde von anderen aufgefangen, verständnisvoll und ermutigend. Suchtkrankheiten sind eben chronische Krankheiten. Wer sie hat, wird sie lebenslang nicht mehr los, sondern kann nur lernen, damit umzugehen.
Ein guter Ort dafür ist die Selbsthilfegruppe. Dort geht es selten ums Trinken selbst, sondern viel mehr darum, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Stress auf der Arbeit? Sorgen mit den Kindern? Unzufrieden mit sich selbst? Alles Themen, die in der Runde aufkommen können. Am Anfang darf reihum jeder seine Gedanken laufen lassen. Dabei wird meist schon klar, bei wem der Schuh drückt und warum.
Und während die Frauen sich dann austauschen, vergeht ruck-zuck die Zeit. "Wir könnten immer noch stundenlang weiter reden", meint Janette Bönig. Vielleicht ist das ja auch ein Merkmal einer reinen Frauengruppe. "Am Ende kann ich jedenfalls immer viel Positives für mich heraus ziehen." Außerdem geht es nicht immer nur ernst zu. "Gelacht wird natürlich auch viel", sagt Gertrud Schreiber, eine der erfahrensten Frauen in der Runde, mit ihren fast 70 Jahren - "Nein, schreiben Sie 69, das klingt besser!" sagt sie schnell und lacht.