Er formte aus dem dörflichen Velbert eine Stadt mit Profil

Rudolf Thomas war der nimmer ruhende Bürgermeister in Velbert. Vor 100 Jahren wurde er pensioniert. Eine Straße erinnert an die Persönlichkeit.

Velbert. "Die gestern abend vor dem Rathause abgehaltene Feier zu Ehren des in den Ruhestand tretenden Bürgermeisters war von dem denkbar schlechtesten Wetter begleitet. Der feine Nebel, der in dichten Schwaden über den Rathausplatz fegte, machte noch vor Beginn der Feier einem starken Regen Platz, der just in demselben Augenblick aufhörte, in dem der Akt sein Ende nahm."

So beginnt ein Zeitungsbericht vom 1. November 1910, der die Verabschiedung des Velberter Bürgermeisters Rudolf Thomas beschreibt. 33 Jahre hatte er dieses Amt inne, bis zum heutigen Tag so lange wie kein anderer Bürgermeister dieser Stadt.

"Nichtsdestoweniger hatte sich eine zahlreiche Menge angesammelt, die den Rathausplatz mit einem undurchdringlichen Gürtel umzog. Auf der Freitreppe hatten sich die Stadtverordneten sowie Regierungsreferendar Dr. Spiritus eingefunden. Der gegen 9 Uhr ankommende Fackelzug bot einen wahrhaft imposanten Anblick. Dazu war die Rathausfront prächtig illuminiert."

Die Zeitung schreibt weiter: Thomas Amtsantritt war um einiges skeptischer betrachtet worden, da sich seine beiden Vorgänger kaum für die Stadtentwicklung engagiert hatten. So wählten ihn die Stadtverordneten im April 1877 mit nur zehn von 18 Stimmen. Sein Verwaltungsgeschick sollte er in den folgenden Jahren jedoch eindrucksvoll beweisen und ihm eine zweimalige Wiederwahl bescheren. Thomas machte aus dem dörflichen Velbert eine Stadt mit Profil.

Während seiner Amtszeit wurden etwa 40 Straßen ausgebaut; die Friedrichstraße bildete sich zur Geschäftsmeile heraus. Die Stadt ließ Kanäle anlegen und versorgte die Bürger fortan mit Wasser, Gas und Strom.

Als der Liebhaber deutscher Volkslieder nach Velbert kam, lebten dort 8.000 Einwohner; bis 1901 war die Bevölkerung auf mehr als das Doppelte angewachsen. So musste bald, am jetzigen Standort, ein neues Rathaus her; Amtsgericht, Krankenhaus sowie ein Dutzend Schulneubauten folgten. Höhepunkt war der Anschluss an die deutsche Eisenbahn.

Der Aufschwung hatte allerdings auch eine Kehrseite: Die Verwaltung musste den Bauboom durch Steuererhöhungen finanzieren; so füllten die Bürger drei Viertel des Stadtsäckels. Nach Historiker Dr. Eduard Neumer entsprach Thomas dem Idealtypus des preußischen Beamten. Er konzentrierte sich auf die Sache, nicht auf ideologische Ziele.

Seine Pflichttreue brachte ein Regierungsmitglied zur Hundertjahrfeier der Stadt 1908 auf den Punkt: "Die Haupttätigkeit eines Bürgermeisters liegt in der Bureauarbeit, und da ist Herr Thomas morgens der erste und abends der letzte auf dem Bureau. Wer über 30 Jahre lang Bürgermeister an einem Orte gewesen ist, hat den Beweis der Tüchtigkeit geliefert."

Weggefährten bezeichneten ihn als gerecht und mild. "Wer Gelegenheit hatte, mit ihm in näherer Beziehung zu stehen, kennt seine Selbstlosigkeit und die Anspruchslosigkeit seines Herzens, seinen vornehmen Sinn, seinen lauteren Charakter", formulierte es Stadtbaumeister Schmidt 1910 zur Verabschiedung.

Und so übte sich Thomas in Bescheidenheit: "Die Entwicklung Velberts sei der Gesamtheit zu verdanken", sagte er nach etlichen Lobreden zu seinem 25-jährigen Dienstjubiläum 1902. "Ich bezeichne mich als der erste Diener der Gemeinde, dieses will ich sein und bleiben." Dabei unterstützte ihn auch seine Gattin, Ida Kirschbaum, die er 1874 geheiratet hatte und die mit Else, Meta, Oskar und Bruno vier Kinder zur Welt brachte.

Bildkräftig formulierte es seinerzeit ein ortsansässiger Pastor: "Von allen Velbertern gekannt, sei sie ein Vorbild für jede Hausfrau. Sie sei es, die ihren Gemahl immer wieder aufgerichtet habe, wenn die Last eine zu große gewesen sei, sie habe ihm die Sorgen von der Stirn gestrichen, wenn einmal große Betrübnis ihn übermannt habe." Daneben widmete sich Ida Thomas der Armenunterstützung und war Vorsitzende des heimischen Frauenvereins.

"Mit Wehmut sehen wir der Scheidestunde entgegen", brachte Stadtbaumeister Schmidt seine Verabschiedungsrede zum Ende. "Die aufrichtigsten Wünsche der Bürgerschaft für einen sonnigen Lebensherbst seien Ihr Geleit.

Sie alle aber bitte ich, mit mir zu rufen: Lang lebe der hochverehrte Bürgermeister und seine Gattin. Sie leben hoch!"Das Publikum nahm diesen Ruf begeistert auf. Die Sänger intonierten das schlichte, aber eindrucksvolle Lied: Die Abendglocken klingen."

Rudolf Thomas starb am 25. März 1920 in Godesberg. Er wurde 76 Jahre alt.