Kassandra: Velbert steht unter Schock

Die Bürger können kaum glauben, dass ein 14-Jähriger aus gutem Haus der Täter ist.

Velbert. Nach der Festnahme eines 14-Jährigen im Fall Kassandra herrscht im Velberter Ortsteil Neviges Sprachlosigkeit.

"Es ist einfach unfassbar, dass ein junger Mensch zu so einer Tat fähig ist", sagt Ilona Kurrek (51), die gemeinsam mit ihrer Mutter Erika Neumann (80) eine Kerze für die kleine Kassandra im Mariendom aufstellt.

Viele Menschen sind an diesem Sonntag in die katholische Kirche gekommen, um die heilige Messe zu feiern. Es ist das 800-jährige Jubiläum des Franziskanerordens, und der Mariendom im Herzen der Stadt ist mit Blumen geschmückt. Erika Neumann: "In diesen schweren Tagen suche ich Trost bei Gott. Jeden Tag bete ich für das Mädchen und seine Familie."

Die historische Altstadt mit ihren Fachwerkhäusern und kleinen Gassen wirkt am Sonntagmittag noch etwas verschlafen, nur wenige Menschen schlendern durch die Fußgängerzone. Die überall präsenten Handzettel der Polizei, auf denen in roten Lettern "Mordversuch" zu lesen ist, beachtet kaum jemand. Warum auch? In dem Ort mit rund 19 000 Einwohnern ist eh bekannt, was passiert ist. Doch der Schock darüber, dass der mutmaßliche Täter aus ihrer Gemeinschaft stammt, trifft die Menschen.

Schließlich könnte der mutmaßliche Täter ein Nachbar oder sogar Bekannter sein. "Die ganze Stadt rätselt, wer der Mensch ist, der dazu fähig war, ein kleines Mädchen so brutal zu misshandeln", sagt Nicole Schad (38), die mit ihren Töchtern Jasmin (16) und Nina (17) auf der Tönisheider Straße spazieren geht.

Nur wenige hundert Meter entfernt liegt der "Treff 51", der Ort, an dem Kassandra vor fast drei Wochen mehr tot als lebendig in einem Kanalschacht gefunden war. Dort war auch der verdächtige Jugendliche regelmäßiger Gast und kann daher im Stadtteil auch kein Unbekannter sein.

Schon einen Tag nach der Tat kamen Hinweise auf den Jugendlichen, der als verhaltensgestört gilt und deshalb eine Förderschule für emotionale und soziale Entwicklung besucht. Sein Elternhaus gilt als bürgerlich: Der Vater ist Geschäftsmann mit eigener Firma in einem Nachbarort, die Mutter Hausfrau.

Dass der mutmaßliche Täter ein Jugendlicher sein soll, das können auch die Jugendlichen in Neviges kaum glauben. "Das ist schon krass. Kann man sich gar nicht vorstellen, dass jemand in unserem Alter so etwas macht", sagt Realschülerin Laura (14). Und ihre Freundin Isabelle (14) fügt hinzu: "Aber wenn der schon auffällig war, wie es heißt, dann ist der eben nicht normal."

Als abgeklärt und völlig emotionslos beschreibt Wolfgang Siegmund, Chef der Mordkommission "Tönisheide", den 14-jährigen mutmaßlichen Täter. Ein Umstand, der in der Bevölkerung auch Wut hervorruft. "Dieser Mensch muss total abgebrüht sein. Er hat in Kauf genommen, dass das Mädchen stirbt. Wie er wochenlang mit diesem Druck umgehen konnte, ist mir unbegreiflich", sagt ein älterer Herr, der anonym bleiben will.

Die Stimmung in Neviges ist an diesem Wochenende angespannt. "Für so eine kleine Stadt ist das alles ganz schön unangenehm. Wir hoffen, dass hier bald wieder Ruhe einkehrt. Doch solange nicht bewiesen ist, dass der Jugendliche auch wirklich der Täter ist, bleibt die Unsicherheit", sagt Yvonne Zinner (31), Mutter eines Vierjährigen und einer sechs Monate alten Tochter.