Neviges: Einst Sitz des Bürgermeisters
Ab 1735 erbaut, ist das Haus Kirchplatz3 vermutlich das älteste im Rund um die evangelische Stadtkirche.
Neviges. Am Eingang wacht der Bergische Löwe über den Türklopfer. Über einen engen Flur geht es ein dunkles Treppenhaus hinauf, das mit seinem leichten Dachbodengeruch Geschichte atmet. Vorbei an fast hundert Jahre alten Familienfotos gelangt der Besucher durch eine dünne, weiße Holztür direkt in die gut gewärmte Küche. Dann Stille. Nur die Glocken des Kirchturms, dessen Mauern sich durch die kleinen Fenster erspähen lassen, läuten die Viertelstunden an.
"Wir leben hier auf der Insel", sagt Hans-Hermann Köller. "Es gibt in Neviges keinen ruhigeren Ort." Seit 1951 wohnt er mit seiner Frau Marlies am Kirchplatz 3. Die heute 80-Jährige hat ihr ganzes Leben in dem Haus verbracht.
Unter dem Namen "Auf der Mauren" bekannt, ist es das vermutlich älteste Haus am Platz: Der Grundstein wurde 1735 gelegt. Im Erdgeschoss befand sich einst das Bürgermeisteramt, im Keller die erste Arrestzelle - und vor dem Haus ein Schandpfahl.
Der Bürgermeister übte die niedere Gerichtsbarkeit aus, die bei Bagatelldelikten wie Diebstahl, Ehebruch oder schwerer Lüge zum Einsatz kam. Sonntags morgens wurden die Delinquenten an den Schandpfahl gefesselt, so dass die Kirchgänger sie sehen und verspotten konnten. "Manche Bürger sollen nur deswegen zum Platz hinaufgestiegen sein, um die Sünder mit faulem Obst zu bewerfen", erzählt Hans-Hermann Köller.
1919 kauften Marlies’ Großvater Wilhelm Schlösser und seine Frau Julia das Gebäude. Wilhelm Schlösser war Malermeister und richtete im Erdgeschoss seine Geschäftsräume ein. Später betrieben Marlies’ Eltern, ursprünglich Schnapsbrenner, dort später eine Heißmangel. Von der Geschäftsnutzung ist heute nichts mehr zu erkennen; der Ladeneingang an der Hausecke wurde bei Sanierungsarbeiten zugemauert und mit Schieferplatten bedeckt - ebenso wie einige Eichenfenster im ersten und zweiten Stock. "Durch sie zog es wie Hechtsuppe", erinnert sich Hans-Hermann Köller. "Außerdem konnte man dadurch die Möbel freier platzieren."
29 Jahre lang gehörte der heute 82-Jährige dem Presbyterium der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde an. Er ließ sich zum Predigthelfer ordinieren und hielt in dieser Funktion zahlreiche Trauungen und Beerdigungen ab. Auch im hohen Alter ist er keineswegs untätig: "Ich mache zwar keine Termine mehr, aber 30 Minuten vor dem Gottesdienst begrüße ich am Eingang unserer Kirche immer noch die Besucher und teile die Bücher aus." In seiner Berufskarriere ließ Köller sich ebenso wenig unterkriegen: Er schuftete auf dem Bau, hackte im Akkord Holz und ging schließlich in den Polizeidienst. Von 1961 bis 1968 war er in Neviges tätig. Dann studierte er Lehramt, unterrichtete unter anderem an der Burgfeldschule Physik und sieben Jahre lang im Wuppertaler Gefängnis. Den leidenschaftlichen Kniffelspieler konnte wenig schrecken.
Selbst an den 18. August 1988 erinnert er sich ohne Missbehagen: Damals war das Dachgeschoss des Hauses durch einen Kurzschluss in Brand geraten. "Morgens um Fünf war das Feuer ausgebrochen, um Zwölf war das Dach wieder dicht", berichtet er und hebt hervor: "Daran sieht man, wie gut der Verbund der Nachbarn funktioniert. Die Hilfsbereitschaft ist groß." Den finanziellen Schaden von 105 000 Mark bezahlte die Versicherung komplett, da die Anwohner vor dem Eintreffen der Feuerwehr mit hauseigenen Feuerlöschern gegen den Brand vorgegangen waren. So konnte das bergische Schmuckstück vor schlimmeren Folgen bewahrt werden.