Sie opfern die Freizeit den Flüchtlingen

Bürger wie Sonja Brodmann und DRK-Helfer wie Lukas Mutzberg erleben den Alltag in der Notunterkunft an der Kastanienallee.

Foto: simba

Wülfrath. Als Sonja Brodmann von ihrem ersten Dienst in der Flüchtlingsunterkunft am Gymnasium nach Hause kam, war ihr Kopf voller Eindrücke. Und sie dachte sich: „Was haben wir hier in Deutschland doch für ein tolles Leben.“ Die 44-jährige Einzelhandelskauffrau ist eine der mehr als 100 Wülfrather Bürger, die zusammen mit den ehrenamtlichen Kräften des Roten Kreuzes die Flüchtlingsnotunterkunft am Laufen halten.

In der Regel übernimmt die Wülfratherin an zwei Tagen in der Woche eine der Sechs- bis Acht-Stunden-Schichten in der Turnhalle, von denen täglich 14 besetzt werden müssen. Ihr Halbtagsberuf als Einzelhandelskauffrau lässt das zu. Ihre Freizeit opfert sie gerne. „Ich werde das so lange machen, wie ich kann“, sagt sie.

Die Aufgabe fordere sie nämlich nicht nur, sondern gebe ihr auch einiges zurück. „Die Leute sind wirklich froh, dass man da ist. Man wird morgens schon mit einem Lächeln begrüßt“, berichtet sie. Die besondere Herausforderung ihrer Tätigkeit ist, dass sie an keinem Tag weiß, welche Aufgaben auf sie warten. Heute hat ein Bewohner Zahnschmerzen und muss zum Arzt begleitet werden, am nächsten Tag gilt es vielleicht nur, einen Fußball aufzutreiben.

Auch Lukas Mutzberg (22) vom DRK nimmt sich zwischen seiner Ausbildung und der Abendschule Zeit für die Flüchtlingsarbeit. Er war schon beim Aufbau der Notunterkunft in der Sporthalle am Waldschlößchen in Neviges beteiligt und konnte seine Erfahrung in Wülfrath einbringen.

Die Stimmung in der Halle sei ruhig. „Wir konnten viel Aggressionspotenzial durch die Trennwände rausnehmen“, sagt er. So entstanden abgeteilte Bereiche, die von den Helfern „Zimmer“ genannt werden. Trotz allen widrigen Umständen bewundert Mutzberg die positive Einstellung, die sich viele Flüchtlinge bewahrt haben: „Viele Leute sitzen auf ihren Betten und lernen Deutsch oder packen freiwillig mit an und fegen.“

Derzeit ist die Aufnahmeprozedur vor Ort abgeschlossen. Die Helfer schätzen, dass bald — vielleicht in der nächsten Woche — der erste große Wechsel kommt. 150 Flüchtlinge treten dann ihre nächste Reise an und neue Menschen kommen. Für die Ehrenamtler heißt das: Start bei Null, der Großteil der Arbeit beginnt von Neuem.

Dass dann die bekannten Gesichter verschwinden, macht Mutzberg wenig aus — eine Haltung aus Selbstschutz. „Wir versuchen, uns eine professionelle Distanz zu bewahren“, sagt er.

Trotzdem bekommen die Helfer viel von ihren Schützlingen mit. Und manchmal gibt es Geschichten, die hängen bleiben. Wie etwa die von der afghanischen Familie mit dem zweieinhalb Jahre alten Kleinkind. Sie hat ihr ganzes Geld an eine Schlepperband gegeben, um mit dem Boot übers Mittelmeer zu kommen. Die Ärzte hier in Wülfrath stellten bei dem Kind Nachwirkungen von Beruhigungsmitteln fest, weil es für die einwöchige Überfahrt mit Schlafmitteln ruhiggestellt worden war. Viele der Schicksale, sie sind für die Helfer unvorstellbar.