Im Grenzwald wird abgeholzt
Förster Thomas Gieselmann erklärt, warum es zurzeit viel Kahlschlag gibt.
Nettetal. Kahlschlag mitten im Grenzwald: Alles abgeholzt, auf einer Fläche fast so groß wie ein Fußballfeld sprießt Adlerfarn, überall liegen Zweige und Rindenstücke. Mitten in der Lichtung steht eine einzelne Kiefer ohne Geäst, oben ist der Stamm zersplittert. „Den Baum haben wir extra stehen lassen, sein Holz ist kaum etwas wert. Wenn er nächstes Jahr nicht mehr harzt, wird vielleicht ein Specht hier seine Höhle zimmern“, sagt Förster Thomas Gieselmann (60). Kahlschläge wie diese gebe es derzeit einige im Wald: „Das sind Folgen des Orkans Friederike.“
Im Januar hatte der Orkan in der Region gewütet, auch im Grenzwald viele Bäume umgeknickt, entwurzelt, beschädigt. „Die Bäume mussten gefällt werden. Die meisten Stämme wurden schon abtransportiert, die letzten sollen in diesen Tagen geholt werden“, erklärt Gieselmann. Dafür habe man eine Sondergenehmigung der Unteren Naturschutzbehörde einholen müssen, denn eigentlich soll der Wald zwischen März und Oktober von Eingriffen verschont bleiben: „Aber wir sind hoffentlich bald fertig“, sagt der Förster. Bei Baumfällungen lauere oft der Bussard auf aufgescheuchte Mäuse: „Manchmal glaube ich, die Tiere haben sich an uns gewöhnt.“
Gieselmann ist beim Regionalforstamt Niederrhein des Landesbetriebs Wald und Holz NRW zuständig für den Forstbetriebsbezirks Grenzwald, zu dem auch Nettetal mit dem Grenzwald in Kaldenkirchen gehört. Sein Job ist es, einerseits den Wald als Erholungsgebiet zu erhalten, andererseits die Interessen der Holzwirtschaft zu berücksichtigen. „Das ist hier ganz schön kompliziert, Eigentümer von Waldflächen sind Land, Kreis und Stadt sowie hier im Grenzwald rund 230 private Parzellenbesitzer“, sagt er. „Sie alle bilden die Forstbetriebsgemeinschaft, die einen wollen den Wald so erhalten, die anderen Erträge aus ihrem Holz erwirtschaften.“
Thomas Gieselmann, Förster
An einem Loch vor einem modrigen Baumstumpf macht er Halt, geht in die Hocke: „Hier hat ein Dachs gegraben, wahrscheinlich wollte er sich über ein Nest von Erdhummeln hermachen.“ Dann befühlt er kleine Pflanzenstängel: „Den Wurmfarn haben Rehe angeknabbert, das ist für sie eine Medizin gegen Würmer, daher der Name.“
Die vielen Äste auf dem Waldboden stören ihn nicht, im Gegenteil: „Was vom Sturm oder beim Baumfällen herunterfällt, lassen wir liegen, der Wald braucht keine Ordnung.“ Viel Überzeugungsarbeit müsse man manchmal leisten, um Parzellenbesitzern zu erklären, dass ein aufgeräumter Wald kein gesunder Lebensraum für Flora und Fauna sei.
Gieselmann überquert einen holprigen Waldweg: „Es hat schon Beschwerden gegeben, weil Wege durch Holztransporte beschädigt wurden, aber sie waren eh in keinem guten Zustand.“ Mit den Flächenbesitzern müsse man über Lösungen nachdenken, denn der Wald werde rege von Wanderern und Radfahrern besucht: „Da ist ja eine große Sehnsucht nach der Natur, aber ehrlich gesagt, richtige Natur haben wir hier gar nicht. Da wird vieles gerade schwärmerisch verklärt.“
Schon im Mittelalter seien die meisten Wälder abgeholzt worden, auch die Bäume im Grenzwald seien Nachforstungen: „Die Kiefern wurden nach dem Zweiten Weltkrieg gesetzt. Was umstürzt oder gefällt wird, wird durch andere Baumarten ersetzt“, sagt Gieselmann. Zwei Drittel Laubbäume und ein Drittel Nadelbäume, das sei ein gutes Verhältnis. „Die Holzwirtschaft setzt auf Douglasien, die sind allerdings empfindlich, das sieht man hier deutlich“, sagt er und zeigt auf schlanke, nahezu blanke Stämme: „Wildschweine reiben sich daran, fetzen die Rinde ab, der Duft der Douglasie hilft wohl gegen Parasiten.“
Seine Runde durch den Wald macht er nicht täglich: „Die Hälfte meiner Arbeitszeit verbringe ich im Büro.“ Natürlich sei er gerne draußen, auch wenn es lästig sei, sich vorher mit Zeckenspray gegen die „in diesem Jahr besonders häufigen und lästigen Blutsauger“ zu schützen. Förster Gieselmann schaut auf und lächelt: „Guck mal, da fliegt ein Buntspecht. Schön.“