100 Kempener Jahre Arbeiten auf dem Feld, spielen im Stroh

Schmalbroich · Auf dem Fellbuschhof wurde Jakob Bongartz 1927 geboren. Seine Kindheit war von Arbeit geprägt – Zeit für Spielen blieb aber auch.

Feldarbeit mit drei Pferdestärken: Mit dem einscharigen Pflug war es damals noch sehr mühsam, das Feld zu bestellen.

Foto: Heimatverein St. Hubert

Die WZ-Zeitreise durch die Kempener Geschichte beginnt in Schmalbroich. 1918 – der Erste Weltkrieg war beendet, in den Hauptstädten wurden die Weichen für den Frieden und die Weimarer Republik gestellt und in Kempen bemühte sich Bürgermeister Josef Kloos von der Zentrums-Partei, den Übergang vom Kaiserreich zur Republik in geordnete Bahnen zu lenken. Zu dieser Zeit war Schmalbroich mit den drei Siedlungsbereichen Wall, Klixdorf und Ziegelheide eine eigene Gemeinde im Kreis Kempen.

Auf dem Fellbuschhof in Ziegelheide, der seit 1926 im Besitz der Familie Bongartz war, kam im Mai 1927 Jakob als ältestes von sechs Kindern zur Welt. Die Hebamme eilte damals auf den Hof und half bei der Geburt.

Langeweile, so erinnert sich der heute 91-Jährige, gab es für ihn und seine fünf Schwestern auf dem Bauernhof nie – viel Zeit zum Spielen, für Hobbys oder Vereine aber auch nicht. Schon als Kind packte man mit an. In dem Mischbetrieb gab es früher 13 Kühe, etwa 15 Rinder, 30 Mastschweine, fünf Sauen und drei Pferde – heute sind es auf dem Hof der Familie Bongartz 150 Kühe. Die Kinder arbeiteten mit, schafften mit das Futter heran. „Wir haben auch immer Pflaumen gesammelt. Der Händler hat sie uns dann für acht Pfennig das Pfund abgekauft.“ Etwa ab zwölf Jahren ging der Sohn dann zum Pflügen mit aufs Feld – natürlich ohne Traktor, sondern mit einem Kipppflug, der von drei Pferden angezogen wurde. Eine harte Arbeit.

Die Familie Bongartz: Cilly, Vater Heinrich, Jakob, Resi, Mutter Agnes und Gerda.

Foto: Bongartz

Beim Opa lernte man „1001“ und „Schwarzer Peter“

Auch wenn Kindergarten und Spielplätze für ihn damals Fremdworte waren, so erinnert er sich doch an lustigen Zeitvertreib. Seilchen springen, Nachlaufen, Fußball und Verstecken spielte man mit den vielen Kindern in der Nachbarschaft. Im Stroh zu spielen war ein großes Abenteuer. Mit dem Bund Stroh als Schlitten ging es dann abwärts. Von Opa Jakob Fellbusch lernte Jakob die Kartenspiele „1001“ und „Schwarzer Peter“.

Das war ein Grund zur Freude bei der Feuerwehr: 1951 bekam der Löschzug Ziegelheide seinen ersten Löschgruppenwagen. Der gebrauchte Wagen war von der Gemeinde Vorst erworben worden.

Foto: Bongartz

Damals war die Katholische Landvolksschule Ziegelheide dort, wo bis vor kurzem die Feuerwehr Schmalbroich ihre Räume hatte. Auch in Klixdorf und in Wall gab es Volksschulen, ebenso in Unterweiden und St. Peter. Und die Klassenräume waren voll: Im Jahrgang 1924/25 waren es in Ziegelheide 86 Kinder. Vormittags wurde die Oberklasse mit 42 Kindern in dem Raum unterrichtet, nachmittags die 44 Schüler der Unterklasse, berichtet die Chronik. 1928 wurde das Gebäude um einen zweiten Raum und eine Wohnung erweitert.

Mit Schiefertafel und Griffel lernte Jakob Bongartz Schreiben. „Ich habe Schreiben noch in Sütterlin gelernt“, erinnert er sich. Schönschreiben wurde benotet. Zucht und Ordnung herrschten damals. Wer nicht parierte, bekam Stockschläge auf die Fingerspitzen oder auf den Hosenboden. Bei den Ausflügen mit Lehrerin Frau Bohm ging es mit dem Wimpel in der Hand zu Fuß los. Zum Horbes Bergske an der Niers zum Beispiel. Turnunterricht gab es draußen. Einmal in der Woche ging es zum Schwimmunterricht ins Hohenzollernbad an der Burgstraße. Daran führte auch kein Weg vorbei. „Wir hatten einen in der Klasse, der war wasserscheu. Der wurde von der Polizei zum Schwimm-unterricht abgeholt.“

Jakob Bongartz (hinten, 2. v. l.) und die anderen Messdiener der Kapelle Heumischhof mit Pater Petrus.

Foto: Heimatverein St. Hubert/Bongartz

Bei vielen Kempenern war das Jugendstil-Schwimmbad aber durchaus beliebt. Das Stadtrat hatte 1906 beschlossen, ein Hallenbad „zur bleibenden Erinnerung an den heutigen Jubeltag, die Silberhochzeit des Kaiserpaares, und als Denkmal echten Bürgersinns und unverbrüchlicher Treue zum Hohenzollern-Herrscherhaus“ zu errichten. 1918 konnte das „Hohenzollernbad“ seiner Bestimmung übergeben werden.

Jakob Bongartz ist heute 91 Jahre alt und lebt noch immer in Schmalborich.

Foto: Ulrike Gerards

Nach Kempen ging es auch samstags zum Einkaufen, erinnert sich Jakob Bongartz – zum Colonialwarenladen Anton Hubbertz an der Kuhstraße zum Beispiel. Ein Tütchen Bonbons gab es dann für Jakob. Ansonsten gab es damals für die Kinder nicht viel. Geburtstage wurden nicht gefeiert, eher der Namenstag. Besonders in den Kriegsjahren wurde man kurz gehalten. Sonntags kam auch mal ein Braten auf den Tisch. Als Kind freute sich Jakob Bongartz, wenn es Sauerkraut, Stampfkartoffeln und Kassler gab.

Die Erstkommunion war schon damals ein besonderer Tag. An Pralinen und Blumen als Geschenke erinnert Jakob Bongartz sich. Danach wurde er Messdiener in der Kapelle Heumischhof. Es gab einen eigenen Seelsorger und sonntags zwei Messen – um 7 und um 9 Uhr. Pater Petrus betreute die rund 15 Jungen, die damals bei den Messen Dienst am Altar taten.

Seit 75 Jahren ist Jakob Bogartz Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr – „eine tolle Truppe“, wie er sagt. Mit seinem Enkel ist mittlerweile die vierte Generation der Familie Bongartz aktiv. Schon damals gab es eine Jugendabteilung. Entweder Jugendfeuerwehr oder Hitlerjugend lautete die Entscheidung damals. Dort lernten die Jungen die Handgriffe, die man beim Löschen und anderen Hilfen braucht.

Foto: nein/Ulrike Gerards

Als die Feuerwehr Schmalbroich mit den Löschzügen Ziegelheide, Klixdorf und Wall 1910 gegründet wurde, da löschte man noch mit Hilfe von Ledereimern. Einige Jahre später erhielt jeder Löschzug eine Handdruckspritze. Im Ersten Weltkrieg kam eine Motorspritze dazu. Einkleiden konnten sich die Feuerwehrleute erst 1923. Aus seiner Anfangszeit erinnert sich Jakob Bongartz, dass die Uniformen vererbt wurden. 1951 wurde der erste Löschgruppenwagen angeschafft – der bestand aus Sperrholz und erlitt 1962 bei einem Unfall Totalschaden.

Dramatische Rettungsaktion in der Kapelle Heumischhof

Die Zeit des Zweiten Weltkriegs hinterließ auch in Ziegelheide Spuren. Auf dem Hof der Familie Bongartz wurde ein Bunker gebaut, in dem man viele Nächte ausharrte, während Brandbomben fielen. 1941 traf eine Reihe von Bomben den benachbarten Heumischhof samt Kapelle. Der Kempener Historiker Hans Kaiser beschreibt in seinem Buch „Kempen unterm Hakenkreuz“ eine dramatische Rettungsaktion. Vier junge Wehrmänner und ein Feuerwehrveteran riskieren Kopf und Kragen, um den kostbaren Tabernakel aus dem brennenden Gebäude zu retten. Als sie die Kirche verließen, stürzte krachend die Orgelbühne mit der Orgel auf den Boden.

Im Herbst 1944 lag für Jakob Bongartz die Einberufung zum Arbeitsdienst auf dem Tisch. Mit etwa zehn Leuten aus dem Kempener Raum ging es in ein Arbeitsdienstlager in der Tschechoslowakei. Anschließend wurde er in Dänemark eingesetzt und geriet im April 1945 in amerikanische Gefangenschaft. Zwei Jahre lang war er von zu Hause fort, ohne Verbindungen in die Heimat.

In der Nachkriegszeit herrschte Hunger und für die Landwirte gab es viel zu tun. Mit dem Besuch der Landwirtschaftsschule ging die Ausbildung für ihn im Winter 1947/48 weiter.

Im kleinen Saal in Ziegelheide wagte die Jugend früher die ersten Tanzschritte. Auf dem Reiterball in Wankum lernte Jakob Bongartz Leni Timmermanns kennen, die er 1956 heiratete. Nach einer kleinen Hochzeitsreise an den Bodensee ging die Arbeit auf dem Hof dann so richtig los.