Coronavirus – was macht das mit uns? „Es wird sich zeigen, wie stark wir sind“

Kempen · Was machen das Coronavirus und seine Folgen mit uns? Ein Gespräch mit dem Kempener Politikwissenschaftler Klaus-Peter Hufer über die Auswirkungen auf Gesellschaft und Demokratie.

In den Supermärkten ist derzeit häufig wenig zu sehen von Solidarität. Menschen, die zu Hamsterkäufen neigen, denken nicht an ihre Mitmenschen.

Foto: dpa/Tom Weller

Schul- und Kitaschließungen, Homeoffice, Hamsterkäufe, geschlossene Geschäfte und Cafés, drohende Ausgangssperre: Das Coronavirus hat die Menschen und ihr Leben im Griff. Hinzu kommt die Sorge, selbst zu erkranken. Eine Situation, wie sie in dieser Form bislang noch nie dagewesen ist und deshalb mehr Fragen als Antworten aufwirft, wie Professor Dr. Klaus-Peter Hufer sagt. Der Kempener ist außerplanmäßiger Professor an der Fakultät Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen und war Fachbereichsleiter für Geistes- und Sozialwissenschaften an der Kreisvolkshochschule. Hufer hat sich auf Nachfrage der WZ zu den gesellschaftlichen Auswirkungen des Cornavirus geäußert. Hufer hält die momentane Krise für eine „Bewährungsprobe der sozialen Demokratie“ – vor allem unter dem Vorzeichen, dass ein Ende noch nicht absehbar sei.

Keine Statistiken, keine Erhebungen, keine Erfahrungswerte, man könne auf nichts zurückgreifen, um Vorhersagen zu treffen oder etwa angemessene Maßnahmen zu ergreifen. Von den Menschen würde jetzt viel abverlangt. „Jetzt wird sich zeigen, wie stabil der Boden unserer Kulturen, unserer Zivilisation ist“, sagt Hufer. Und es gebe zwei Möglichkeiten. Die optimistische, dass Solidarität entstehe, wie Rücksichtnahme auf Ältere und Schwächere oder Nachbarschaftshilfe. Und es gäbe die bestürzende, die sich in egoistischen Verhaltensweisen äußere, wie Desinfektionsmittel aus Krankenhäusern zu stehlen.

„Es wird sich zeigen, wie stark wir sind“, sagt Hufer. Noch fühle sich die Situation, dass empfohlen werde zu Hause zu bleiben, wie Urlaub an. „Doch wir sind erst am Anfang. Was ist, wenn auf Wochen die sozialen Kontakte aus der Ferne gepflegt werden? Was bedeutet das für unsere reizüberflutete Erlebnis-Gesellschaft?“, fragt der Politologe, ohne eine Antwort zu haben. Er erinnert an die Bankenkrise, die ebenfalls Angst ausgelöst hätte. Aber das damalige Problem habe rational erfasst werden können. „Die Situation jetzt ist unheimlich irrational“, sagt Hufer.

Nun würde sich auch zeigen, was Globalisierung heißt. China sei für uns fernab gewesen. Ein autoritärer Staat. „Jetzt gehen die Staaten hier hin und können bürgerliche Freiheiten außer Kraft setzen – ohne Widerspruch“, stellt er fest. Nun würde sich zeigen, ob unsere liberale Kultur trotz Sicherheitsmaßnahmen, Reisebeschränkungen und Ähnlichem bewahrt bleiben kann. Klaus-Peter Hufer findet, dass „unsere Politiker derzeit ihren Job verantwortungsvoll und gut machen“. Auch wenn erste Vorwürfe kämen. „Wir sind doch nicht in der Lage zu sehen, was kommt.“ Ein Fachmann habe erklärt, dass man jetzt erst die Situation beurteilen könne, die vor zehn Tagen gewesen sei.

Das wiederum führe zu Verschwörungstheorien, die im Internet und sozialen Medien kursierten – noch in einem überschaubaren Rahmen: wie, von in China gezüchteten Viren bis hin zu wirtschaftlichen Interessen oder, dass Wissenschaftler aus dem Bereich Künstliche Intelligenz ihre Forschung voranbringen wollen, in dem sie die Menschen mit Viren schwächen. Hufer: „Das sind allgemeine Phänomene, um komplexe Vorgänge auf einfache Weise erklärbar und greifbarer zu machen. Und, um Schuldige zu finden.“ In Zeiten der Pest beispielsweise seien Häuser von Erkrankten gekennzeichnet und die Schuld für die Seuche den Juden zugewiesen worden.

Alle Energien konzentrierten sich nun auf das Virus. Und auf die Auswirkungen, wie Mitarbeiterausfall. Viele Dinge, die notwendig seien, wären nicht verfügbar, Geschäfte gerieten in Bedrängnis. „Die längerfristigen Folgen sind nicht absehbar“, so Hufer. Und Prognosen nicht möglich. Ein Faktor sei beispielsweise der Umgang mit Beklommenheit, Unsicherheit und der Angst, die sich breitmache. Aggression sei jedoch nahe von Angst angesiedelt, warnt Hufer. Das könne eine gefährliche Stimmung erzeugen. Beispielsweise dazu führen, dass Erkrankte stigmatisiert würden.

Ebenso stelle sich die Frage, wie die Menschen die Langeweile aushalten würden, weil weniger Unterhaltung von außen an sie herangetragen würde. Familien müssten sich neu erleben lernen. „Wir können erleben, was wirklich wichtig ist und vielleicht auch neue Kreativität entwickeln“, sagt Hufer. Das sei eine Chance, die sich momentan biete. „Es ist ein gesellschaftliches Experiment, das noch nie dagewesen ist und alle sind beteiligt.“

Was geschieht, wenn der Bundestag nicht mehr zusammenkommen und keine Entscheidungen treffen kann? Eine der Fragen, auf die der Wissenschaftler im Moment keine Antworten hat. Es könnte zu einer Zerfaserung der öffentlichen Struktur kommen. Ein Aspekt, der ihn thematisch wieder an den Anfang seiner Aussage bringt: Wiederum müsse sich beweisen, wie stabil unsere soziale Demokratie ist.  „Wenn es gut geht, können sich die moral-philosophischen Werte wieder verfestigen“, sagt Hufer und betont: „Wenn.“