Grüße aus Wien: Gedichte auf Karten
Buch mit Gedichten, die Marcell Feldberg an Freunde verschickt hat.
Schiefbahn. „Aus dem Untergrund des Alltags, diesem argen Wohn-Uterus“ schickt Marcell Feldberg seinem Verleger Wolfgang Erk vom Radius Verlag „Schnipsel, Splitter, falsche Fährten“. Dieses Postskriptum steht am Ende der ersten sieben Postkarten aus Wien, die der Schiefbahner Dichter im Februar 2016 von dort verschickte. Erk hat angebissen. Die Gedichte gehören auch zum „Archiv der Bilder“.
In dieser Reihe erschien 2013 der Band „Spiegelungen“ und 2016 „Im Widerschein der Wirklichkeit“. Die Postkartengedichte gehören in den nächsten Band „Korrespondenzen“, der im Herbst 2019 erscheinen wird. Schon jetzt werden die Wiener Gedichte in einer kleinen Broschüre vorgezogen.
Anlass für die Grüße aus Wien sind Feldbergs Besuche bei der Dichterin Friederike Mayröcker oder Fritzi, wie Feldberg (mf) seine langjährige Brieffreundin (fm) nennen darf. 2014 feierte er ihren 90. Geburtstag in Wien mit, aber erst 2016 gingen die ersten Postkartengedichte an bekannte und befreundete Künstler und Autoren heraus. Es handelt sich um so prominente Adressaten wie den Zürcher Sprayer Harald Naegeli, den niederländischen Schriftsteller Cees Nooteboom oder den in Paris lebenden Autor Paul Nizon. Er schreibt aber auch genauso Karten an Christoph Breitmar, einen 1979 in Willich geborenen Künstler, der heute in Duisburg lebt.
Feldberg zieht die „Briefschaft“ der E-Mail vor. Das Schreiben und Versenden von Postkarten bedeutet nicht nur wesentlich mehr Aufwand, sondern geht über einen bloßen Informationsaustausch hinaus. Auf der Reise erfährt man vieles, was man mitteilen möchte. Wen lässt man an welcher Sache Anteil nehmen — eine fast philosophische Frage. Feldberg nennt die Postkarte und den Luftpostbrief ein anachronistisches Medium, das aber „konkreter“, vielleicht auch beständiger ist als die schnelle flüchtige E-Mail. Die Reaktionen der Empfänger — die nicht veröffentlicht werden — sind höchst unterschiedlich. Meistens kommt kurz ein Dank per E-Mail, oder wie bei Nooteboom nach langer Zeit eine eng beschriebene Postkarte.
Feldberg betreibt das „Verwirrspiel von erfundenen Personen, Geschichten“ und realen Erlebnissen mit großer Meisterschaft. Und dann überrascht er mit einer kleinen Kunstedition von Edmund de Waal, eine Porzellanscherbe mit vergoldeter Bruchkante, in seiner Hand. Das Blattgold an der schwarzen Scherbe sorgt für „stillen Glanz, der auch noch an diese Dunkelheit ein wenig Licht abzugeben vermag.“ Vielleicht bringen Scherben doch kein Glück, aber solche Postkarten zu erhalten, auf jeden Fall. hb