Umfrage bei Fahrschulen Stellenwert des Führerscheins sinkt

Kempen/Krefeld · Junge Menschen wollen und müssen nicht mehr schnellstmöglich den „Lappen“ haben. Experten bestätigen, dass die Fahranfänger älter werden. Die WZ hat mit Fahrlehrern aus Kempen und Krefeld gesprochen.

Fahrschulen erleben derzeit eine Veränderung beim Verhalten von Fahranfängern.

Foto: Gregor Fischer/dpa

Immer weniger Menschen wollen einen Führerschein und immer mehr fallen durch die Prüfungen. Diesen Eindruck gewinnt man, wenn man sich aktuelle Statistiken anschaut. Laut Kraftfahrtbundesamt scheiterte 2018 jeder Dritte an der theoretischen Fahrprüfung. Gleichzeitig gibt es Tendenzen, dass das Interesse am Führerschein bei jungen Leuten sinkt. Das bestätigen Fahrlehrer aus Kempen und Krefeld.

Wenn Tobias Klemm von der Zeit erzählt, in der in seinem Freundeskreis die ersten gebrauchten Autos gekauft wurden, merkt man, dass es beim Führerschein damals um sehr viel mehr ging als um die bloße Berechtigung, einen Pkw fahren zu dürfen. Der „Lappen“ war mit Emotionen verbunden und stand bei vielen für Freiheit und neue Möglichkeiten. „Der große Traum von Freiheit durch das Auto“, beschreibt der Kempener Fahrlehrer das Gefühl von damals. Dem gegenüber stehen die heutigen Fahranwärter, die allem Anschein nach mit einer ganz anderen Einstellung in die Fahrschule kommen. „Ich habe den Eindruck, dass der Führerschein nicht mehr den gleichen Stellenwert hat wie früher“, sagt Jörg Meyer zu Altenschildesche, Pressesprecher des Tüv Rheinland.

Es sei schon mal schwer, Termine für Fahrstunden zu finden

„Wenn ich meine Fahrschüler heute frage, liegt die Priorität nicht mehr beim Führerschein“, berichtet Klemm von den Erfahrungen in seiner Fahrschule am Bärenbrunnen in Kempen. Der Führerschein laufe eher „nebenbei“, da die schulischen Anforderungen wie das Abitur nach zwölf Jahren und Freizeitaktivitäten an erster Stelle stünden. Er habe teilweise Schwierigkeiten, Termine für Fahrstunden zu vereinbaren, da die Schüler so vereinnahmt von anderen Dingen seien.

Dazu zähle auch die starke Bindung zum Smartphone, beobachtet Johannes van Stiphoudt, der Fahschulen in Kempen, St. Hubert und Krefeld betreibt, in seinem Arbeitsalltag:  Ganz nach dem Motto „Gurt runter, Handy in der Hand“ gleite die Aufmerksamkeit einiger Fahrschüler nach den Fahrstunden schnell zum Elektrogerät.

Tim Tiefers, Fahrlehrer und Junior-Chef der gleichnamigen Fahrschule in Krefeld, bestätigt das: „Social Media ist wichtiger als der Führerschein.“ Er erzählt, dass „viele während der Theoriestunden am Handy rumdaddeln“ und in den Praxisstunden falle ihm auf, dass es vermehrt an motorischen Fähigkeiten mangelt.

„Sie machen den Führerschein, allerdings etwas später“

Mangelndes Interesse, neue Priorisierung: Wenn man die Statistiken des Kraftfahrtbundesamts mit den Bevölkerungszahlen in Relation setzt, macht sich der Sinneswandel bezüglich des Autofahrens langsam bemerkbar: In der Altersklasse der 18- bis 25-Jährigen ergibt sich ein leichter Rückgang bei den Führerscheinbesitzern. Die Frage, ob sich diese Entwicklungen bereits in den lokalen Anmeldezahlen widerspiegeln, verneinen die Fahrlehrer. „Sie machen den Führerschein vielleicht etwas später, aber sie machen ihn“, so Tobias Klemm.

Aus Sicht der Experten ist der Führerschein in der Prioritätenliste gesunken, weil Alternativen an Akzeptanz gewinnen. Aus Sicht des Tüv gibt es andere Möglichkeiten, die das Auto als Mittel zur mobilen Selbstständigkeit ablösen könnten. Denn neben öffentlichen Verkehrsmitteln und Radfahren gebe es nun immer mehr Fortbewegungsmöglichkeiten, wie das flexible Bike-Sharing oder E-Scooter-Stationen, auf die man nahezu rund um die Uhr zurückgreifen könnte. Man müsse dabei natürlich stark zwischen Ballungsräumen in Städten und ländlichen Regionen differenzieren, betont Jörg Meyer zu Altenschildesche.

Fahrlehrer Johannes van Stiphoudt hat den direkten Vergleich und bestätigt: Seine Schüler in St. Hubert und Kempen seien meist nach wie vor auf das Auto angewiesen, in der Hauptstelle Krefeld-Hüls merke er schon eher eine Umstellung auf alternative Verkehrsmittel. Dass der Wandel in Großstädten besonders spürbar sei, hört Tobias Klemm auch von Kollegen aus Köln, die vermehrt über 20-jährige Fahranfänger verzeichnen würden. Neben alternativen Verkehrsmitteln spielen laut Klemm aber auch finanzielle Aspekte eine wesentliche Rolle: „Junge Leute steigen später ins Berufsleben ein. Bevor man wirklich Geld verdient, ist man vielleicht schon 25. Der Führerschein kostet aber in der Regel mindestens 1500 Euro.“

Das mangelnde Interesse zeige sich auch auf der Straße: Meyer zu Altenschilde vom Tüv Rheinland beobachtet einen Rückgang der aktiven Teilnahme Jugendlicher am Straßenverkehr und sieht einen Zusammenhang mit den schlechter ausfallenden Prüfungen: „Wenn man beispielsweise selbst mit dem Fahrrad zur Schule fährt, wird man schon früh mit möglichen Gefahrensituationen auf der Straße konfrontiert und kann diese später in der Prüfung besser einschätzen“, sagt der Pressesprecher.  Heute sei der Bezug zum Geschehen auf der Straße durch mangelnde Anteilnahme geschwächt. Unter anderem trage das „Phänomen der Eltern-Taxis“ dazu bei, dass die eigenständige Konfrontation mit dem Straßenverkehr nicht mehr gefördert werde.

Als Beifahrer schaut man
eher aufs Smartphone

Selbst als Mitfahrer in Bus, Bahn oder Auto habe man früher mehr Zeit damit verbracht, aus dem Fenster zu schauen und dem Straßenverkehr so zwangsläufig die Aufmerksamkeit geschenkt, die heute in solchen Situationen häufig dem Smartphone gelte. Diese Vorerfahrungen als aktiver Verkehrsteilnehmer seien aber gerade wichtig für die Sicherheit im Umgang mit ungewissen oder unvorhersehbaren Situationen, die sowohl in der Prüfung als auch später im Fahralltag auftreten könnten.

Außerdem tragen erschwerte Bedingungen auf der Straße zu den Prüfungsergebnissen bei, findet Johannes van Stiphoudt: „Die Anforderungen im Straßenverkehr sind höher, da das Verkehrsaufkommen tendenziell größer ist.“ Die Theorieprüfung hätte sich durch die Integration wechselnder Variations- und Videofragen ebenfalls erschwert, meint Tim Tiefers: „Du kannst nicht mehr so auswendig lernen wie früher.“

Dass in der Theorie deutlich schlechter abgeschnitten wird als in der Praxis, überrascht Meyer zu Altenschildesche nicht: „Im Gegensatz zur praktischen Prüfung, zu der die Fahrlehrer in der Regel nur ausreichend vorbereitete Schüler zulassen, liegt die Theorieprüfung ganz in eigener Verantwortung. Die Hemmschwelle, es trotz wenig Vorbereitung einfach mal zu versuchen, ist daher nicht so groß.“ Tobias Klemm stimmt zu: „Aufwand und Kosten für die Wiederholung der Prüfung sind heutzutage gering.“  Gemeint ist die Tatsache, dass die Theorieprüfung alle 14 Tage unbegrenzt oft wiederholt werden kann seitdem die Sperrfrist von drei Monaten nach dem dritten Fehlversuch abgeschafft wurde. Das mache sich dann in den Statistiken bemerkbar.