Vor 75 Jahren 1947 erwies sich als das entbehrungsreichste Nachkriegsjahr
Serie | Kempen · Zunehmend lastete man die desaströse Gesamtlage in Kempen und im Kreis Viersen nicht von ungefähr der englischen Militärregierung vor Ort an.
(plp) Zunehmend lastete man die desaströse Gesamtlage nicht von ungefähr der englischen Militärregierung vor Ort an. Schon Ende des Jahres 1946 hatte Oberkreisdirektor Ludwig Feinendegen in Kempen folgende sehr mutige Feststellung zu Papier gebracht: „Erschreckend ist die Tatsache, dass die Öffentlichkeit behauptet, der britischen Militärregierung sei in anderthalb Jahren gelungen, was die Goebbels-Propaganda nicht geschafft habe, nämlich den Durchschnittsdeutschen mit Misstrauen gegen die Engländer zu erfüllen. Mehr und mehr hört man die Ansicht, dass es nicht so sehr an den Mitteln fehlt, Deutschland zu helfen.“
Feinendegen gab die Meinung seiner kommunalen Gesprächspartner unter anderem so wieder: „Demokratie sei zweifellos eine Pflanze, die in kalten, dunklen Räumen und bei 1500 Kalorien schlecht gedeihe.“
In aller Munde war nach Feinendegens Schilderung eine sarkastische Abwandlung eines Slogans des nationalsozialistischen „Winterhilfswerkes“, wonach niemand in Deutschland hungern und frieren sollte. Jetzt allerdings spottete man: „Keiner soll hungern, ohne zu frieren“.
Die Lage spitzte sich immer mehr zu. Nur wenige Wochen nach der Landtagswahl hieß es: „Allgemein beherrschen die Sorgen um die Ernährung den Alltag stärker als je zuvor. Die Ratsherren der Kempener Stadtvertretung erwogen einen ,Streik‘. In einer Besprechung des Kommandanten mit den Bürgermeistern und Gemeindedirektoren des Kreises wurde von mehreren Bürgermeistern eine bessere Ernähung als Voraussetzung für jeden Aufbau gefordert.“
Insgesamt erwies sich das Jahr 1947 als das entbehrungsreichste Nachkriegsjahr überhaupt. Zur Jahresmitte hatte sich die heftigst beklagte Versorgungslage immer noch nicht verbessert. Im Bericht des Oberkreisdirektors heißt es dazu: „Das politische Interesse wird auch weiterhin völlig durch die Brotsorgen in den Hintergrund gedrängt. Selbst die Verhandlungen über die Regierungsbildung für Nordrhein-Westfalen wurden von der Öffentlichkeit wenig beachtet. In den Mitgliederversammlungen, die Gewerkschaften und einzelne politische Parteien während des Berichtsmonats abhielten, kamen im wesentlichen nur Fragen der Versorgung zur Sprache.“