Landtagswahl vor 75 Jahren Grundversorgung wichtiger als Politik
Serie | Kempen · 1947 war das Interesse der Bevölkerung an der Landtagswahl gering. Das zeigen Berichte aus Kempen an die damalige Militärregierung. Den Menschen ging es vor allem um Essen, Kohle und Kleidung.
Im Vorfeld der anstehenden Landtagswahl im Mai dürfte ein Blick auf die Wahl zum Landtag von Nordrhein-Westfalen vor 75 Jahren lohnend sein. In Kempen, St. Tönis, Grefrath oder Willich – wie im ganzen damaligen Kreis Kempen-Krefeld – war das Interesse an der erstmaligen Gelegenheit, am 20. April 1947 ein Landesparlament zu bestimmen, auffallend gering. Die Grundversorgung mit Lebensmitteln, Kleidung und Wohnraum dominierte den Alltag der Menschen.
Dafür liefern die 2008 von Gerhard Rehm edierten monatlichen Berichte des Oberkreisdirektors in Kempen an die britische Militärregierung höchst bemerkenswerte Belege. Wie ein Stoßseufzer klingt der einleitende Satz von Oberkreisdirektor Ludwig Feinendegen in seinem Bericht vom 22. Februar 1947: „Die kommenden Landtagswahlen haben das eingefrorene politische Leben bisher nicht aufzutauen vermocht. Die Parteien liegen seit den Kreistagswahlen (Oktober 1946) im Winterschlaf. Themen erster Ordnung bleiben: Essen, Kohle, Kleidung.“
Ein „fast geräuschloser“ Wahlkampf im Vorfeld
„Fast geräuschlos“ wäre der Wahlkampf verlaufen, heißt es im Bericht vom 21. April 1947. Sämtliche Partei-Veranstaltungen in der Kreisstadt Kempen hätten „das Kempener Kino kaum zur Hälfte gefüllt“. Ganze sieben Personen waren zu einer Veranstaltung der FDP gekommen, die dennoch über 200 Stimmen bekam. Die Parteien nutzten „die leeren Mägen ihrer Zuhörer als Resonanzboden“. Eine größere Regsamkeit entfaltete das katholische Zentrum, während in St. Tönis die FDP „einige Bedeutung gewinnen konnte“.
Im Wahlkreis „Kempen-Ost“ setzte sich Josef Steeger (CDU) aus St. Hubert durch. Er war schon Mitglied des von den Engländern ernannten Landtages gewesen. Für die SPD hatte Johannes Thabor aus St. Tönis kandidiert. Auch er war schon im ernannten Landtag vertreten gewesen. Bei der Wahl gab es eine „beträchtliche Zahl“ ungültiger Stimmen. Im Vorfeld waren Möglichkeiten eines „Wahlstreiks“ erörtert worden. In einer Vorstandssitzung der CDU auf Kreisebene war sogar vorgeschlagen worden, „die Landtagswahl zu sabotieren. Die Mehrheit verwarf diesen Plan jedoch, da die CDU sich dadurch selbst matt gesetzt hätte“, resümierte der Oberkreisdirektor.
Unverändert dominierte die Frage der Grundversorgung der Einwohner alle anderen Themen. Feinendegen sah eine Verschlimmerung der Lage voraus: „Die Frage der Versorgung der Bevölkerung mit Kartoffeln – neben Brot das wichtigste Nahrungsmittel – wird sich in nächster Zeit für die Verwaltung zu einem der schlimmsten Probleme entwickeln.“ In Willich war ein Demonstrationszug zum Rathaus marschiert, eine Abordnung hatte den Gemeindedirektor um Hilfe gebeten.
Allenthalben neigte man zu Schuldzuweisungen, wobei die Bauern besonders im Fokus der Kritik standen. Immer wieder wurde der Begründungszusammenhang der verheerenden Lage mit der Schuld der Nationalsozialisten thematisiert. Um Entnazifizierungsfragen kam es bei einer SPD-Versammlung in Kempen fast zu Handgreiflichkeiten zwischen dem Redner und kommunistischen Zwischenrufern.