Start für Reihe „Frau Macht Politik“ im Kreis Viersen „Unsere politische Situation schreit danach, die Ärmel hochzukrempeln“
Kreis Viersen · Obwohl Frauen die Hälfte der Bevölkerung stellen, sind sie in den kommunalen Räten im Kreis Viersen stark unterrepräsentiert.
In Sachen Gleichberechtigung von Mann und Frau gibt es immer noch viel zu tun. Das gilt auch auf dem Feld der Politik. Obwohl Frauen die Hälfte der Bevölkerung stellen, sind sie in den kommunalen Räten im Kreis Viersen stark unterrepräsentiert. Dies dürfte ein Grund für die neue Veranstaltungsreihe „Frau Macht Politik“ sein, die der Arbeitskreis der Gleichstellungsbeauftragten im Kreis Viersen in Zusammenarbeit mit der Kreisvolkshochschule ins Leben gerufen hat.
Zum Auftakt wurde in den Kempener Lichtspielen der preisgekrönte Dokumentarfilm „Die Unbeugsamen“ aus dem Jahr 2021 gezeigt. Rund 130 meist weibliche Interessierte, mehrere Gleichstellungsbeauftragte aus dem Kreis sowie Kempens Bürgermeister Christoph Dellmans (parteilos) schauten sich den Film von Regisseur Torsten Körner an.
Er zeigt, wie hart Frauen im männerdominierten Bonner Politikbetrieb um Respekt und Anerkennung ringen mussten, sich gegen Vorurteile, Männerbünde und sexistische Übergriffe zur Wehr setzten. Historische Aufnahmen werden im Film mit aktuellen Interviews verknüpft.
Zu Wort kommen bekannte Persönlichkeiten wie etwa Herta Däubler-Gmelin (SPD), Christa Nickels (Bündnis 90/Die Grünen), Ingrid Matthäus-Maier (FDP/SPD) und Rita Süßmuth (CDU). Es fallen Sätze wie der von Renate Schmidt (SPD): „Macht wird als unweiblich angesehen. Doch wenn ich machtlos bin, bin ich ohnmächtig.“ Oder: „Wir brauchen keine neuen Raketen, wir brauchen neue Männer in diesem Land.“ (Waltraud Schoppe, Bündnis 90/Die Grünen).
Im Abspann des Films wird auf bedenkliche aktuelle Tendenzen hingewiesen, etwa auf wieder sinkende Frauenanteile in der Politik, auf erstarkende rückschrittliche Frauenbilder und auf Hass gegen Frauen, der im Netz tobe.
Solchermaßen eingestimmt stellten sich im Anschluss an den Film sechs politisch aktive Frauen aus dem Kreis Viersen den Fragen von WDR-Moderatorin Anke Bruns. Irene Wistuba aus Kempen ist seit 1987 in der FDP. Weibliche Politikerinnen waren damals auf Kommunal- und Kreisebene eine Seltenheit. Sie erinnert sich daran, dass sie als erste weibliche Fraktionsvorsitzende im Viersener Kreistag 1999 gefragt wurde: „Halten Sie die Rede selber?“
Heike Höltken, stellvertretende Landrätin, Kreistags- und Ratsmitglied, schloss sich vor 25 Jahren der CDU in Kempen an. Anlass waren Probleme im Kindergarten ihrer jüngsten Tochter. „Du kannst nur etwas ändern, wenn Du mitmachst“, sei ihr damals aufgegangen. Annalena Rönsberg, Vorsitzende der SPD- Kreistagsfraktion in Viersen, ist durch das politische Engagement ihrer Eltern in die Arbeit hineingewachsen. „Es wird immer mehr zu einer Selbstverständlichkeit, dass Frauen Politik machen“, sagt sie. Aber sie glaubt auch, dass es eine Frauenquote brauche.
Ute Gremmel-Geuchen (CDU) aus Kempen, Trägerin des Helene-Weber-Preises 2024, ist erst relativ spät zur Lokalpolitik gekommen. Konkreter Anlass war der erste Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag im Jahr 2017. „Ich habe mich einer demokratischen Partei angeschlossen, um mich den Rechtsextremen entgegenzustellen“, sagt sie. In der politischen Arbeit gelte es, unabhängig vom Geschlecht, sachlich fundierte Arbeit zu leisten.
Meral Thoms (MdL) aus Tönisvorst ist Sprecherin für Gesundheitspolitik in der Landtagsfraktion der Grünen. Dort gibt es feste Zeitfenster für Redebeiträge, um alle gleichmäßig zu Wort kommen zu lassen. Sitzungstermine wurde an Bedürfnisse von Frauen mit Kindern angepasst.
Denn auch wenn die Frage, wie sich politisches Engagement und Familie miteinander verbinden lassen, klischeehaft klingt: Das Problem besteht, wie Stephanie Jahrke, Fraktionsvorsitzende der FDP Grefrath, bestätigt. Die selbstständige Malermeisterin war eine Zeit lang alleinerziehend und konnte ihre politische Arbeit nur mit Hilfe eines großen familiären Netzwerks stemmen.
Es sei tatsächlich schwierig, junge Leute für ein politisches Engagement zu begeistern, bestätigt auch Heike Höltken. Besonders junge Frau seien durch Arbeit und Kinder in der Doppelbelastung. „Durch die Parteiarbeit wird es dann eine Dreifachbelastung.“
Den höchsten Frauenanteil im Stadtrat weist übrigens Viersen mit 32,7 Prozent aus, gefolgt von Nettetal (31,4 Prozent), Grefrath (30,3 Prozent) und Willich (28,3 Prozent). Kempen liegt mit einem Frauenanteil von 27,5 Prozent im Mittelfeld, gefolgt von Tönisvorst (26,5 Prozent) und Schwalmtal (25,7 Prozent). Am niedrigsten ist der Frauenanteil in den Gemeinderäten von Brüggen und Niederkrüchten: In Brüggen liegt er bei 17,1 Prozent, in Niederkrüchten bei 14,3 Prozent.
Spaß macht Politik besonders dann, wenn sie zum Erfolg führt. Stolz ist etwa Wistuba darauf, dass sie dazu beigetragen hat, das KK-Autokennzeichen wieder einzuführen. Höltken freut sich, dass im Kreis Viersen kein Krankenhaus geschlossen wird. Und Gremmel-Geuchen hat die Verlegung von mittlerweile 80 Stolpersteinen in Kempen durchgesetzt. „Manchmal sind die Bretter dick, aber es lohnt sich, die zu bohren“, findet Rönsberg. „Unsere politische Situation schreit danach, die Ärmel hochzukrempeln“ sagt Thoms.