Kreis Viersen Kinderarzt-Praxen: „Müssen Schließungen verhindern“

Der Berufsverband der Mediziner für Kinder und Jugendliche schlägt Alarm. Wie sieht es im Kreis Viersen mit der Versorgung aus?

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Kreis Viersen. Eltern, die keinen Kinder- und Jugendarzt mehr für ihr Kind finden oder die monatelang auf einen Untersuchungstermin warten müssen — der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) schlägt Alarm: „Wir brauchen dringend mehr Kinder- und Jugendärzte, um mit dem Babyboom der letzten Jahre Schritt halten zu können“, so BVKJ-Präsident Dr. Thomas Fischbach. „Wir versuchen, so viele Kinder medizinisch zu betreuen wie nur irgend möglich, viele Kolleginnen und Kollegen gehen dabei weit über ihre Belastbarkeitsgrenzen hinaus.“

Allein 2016 wurden in Deutschland laut Verband 776 883 Kinder geboren, 18,7 Prozent mehr als noch vor fünf Jahren. Die Zahl der Kinder- und Jugendärzte habe damit nicht Schritt gehalten - „ein Fehler der starren Bedarfsplanung, bei der entscheidende Entwicklungen übersehen wurden, etwa die zunehmende Zahl der Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen“, heißt es. Hinzu komme die Überalterung des Berufsstandes: „Derzeit verabschiedet sich ein großer Teil unserer Kolleginnen und Kollegen in den Ruhestand und in den nächsten fünf Jahren werden noch einmal ein Viertel aller Kinder- und Jugendärzte in Rente gehen.“

Soweit die bundesweite Bestandsaufnahme des Verbands. Doch wie sieht es konkret im Kreis Viersen aus? Edwin Ackermann betreibt gemeinsam mit Kollege Dirk Aschoff-Franke eine Praxis in St. Tönis und ist Sprecher der Kinder- und Jugendärzte im Kreis Viersen. Er sagt auf WZ-Anfrage: „Im Kreis Viersen gibt es nach den seit etlichen Jahrzehnten geltenden Bedarfszahlen eine rechnerische Überversorgung mit Kinder- und Jugendärzten.“ Aber genau dieser Zustand müsse auch erhalten bleiben. „Wir müssen Praxisschließungen auf jeden Fall verhindern.“ Er selbst denke noch lange nicht an den Ruhestand.

Ackermann zählt sich zu den Ärzten der älteren Generation, die noch aus einer Zeit kämen, „in der wir große Praxen mit entsprechendem Arbeitspensum geführt haben“. Der Hintergrund: „Unsere Frauen haben uns zu Hause den Rücken frei gehalten oder häufig sogar in den Praxen mitgearbeitet“.

Heute sind es ihm zufolge zu 80 Prozent Ärztinnen, die neu in die Pädiatrie kommen. „Diese können und wollen meist gar nicht so viele Stunden arbeiten, weil sie auch noch für ihre Familien da sein wollen“, sagt der Mediziner aus St. Tönis. Das gelte übrigens auch für Männer. „Eine 60-Stunden-Woche, die früher für uns normal war, können sie heute niemandem mehr verkaufen.“

Hinzu kommt unter anderem, dass der allgemeine Beratungsbedarf deutlich angestiegen sei. „Betreuungsintensive Erkrankungen aus dem sozialpädiatrischen Bereich (Motorik, Geschicklichkeit, Sprache, Aufmerksamkeit, Verhalten) haben zugenommen. Zusätzliche Vorsorgeuntersuchungen sind zeitintensiv“, zählt Edwin Ackermann auf.

Sein Kempener Kollege Dr. Karl Geuchen sagt, man sei im Kreis Viersen „ganz gut aufgestellt“ und zieht den Vergleich mit dem nördlichen Kreis Kleve (etwa Emmerich und Bedburg-Hau). Diese Region sei „gebeutelt“, so Geuchen. Der südliche Teil des Nachbarkreises (u.a. Wankum und Wachtendonk) werde von Kempen mitversorgt. „Wir haben viel zu tun, aber wir schaffen es“, sagt Dr. Karl Geuchen.

Mediziner Edwin Ackermann zieht dieses Fazit: „Wenn in den nächsten Jahren viele Kolleginnen und Kollegen in den Ruhestand gehen, mehr Kinder da sein werden, die Arbeit zeitintensiver geworden ist und alle etwas erträglichere Arbeitszeiten haben wollen, kann es enger werden mit der Versorgungsrealität.“