Stadtplaner Heiner Monheim referierte Verkehrsexperte hält das Elektroauto für ein Placebo

Kempen. · Der Wissenschaftler und Stadtplaner Heiner Monheim referierte auf Einladung von Umweltinitiativen im Gemeindezentrum St. Josef.

Kempen zählt seit Jahren zu den besonders fahrradfreundlichen Städten in Nordrhein-Westfalen. Dennoch kann auch hier vieles für Radler verbessert werden. Das neue Radverkehrskonzept gibt dazu etliche Anregungen. Diese könnten in den kommenden Jahren umgesetzt werden.

Foto: Norbert Prümen

„Mobilität neu denken – Verkehrswende jetzt“. Unter dieser Überschrift referierte der Verkehrsexperte Professor Heiner Monheim am Dienstagabend im Katholischen Gemeindezentrum von St. Josef in Kempen-Kamperlings. Mit dem Zug aus Malente angereist und vom Bahnhof Kempen mit dem Faltfahrrad an den Eibenweg geradelt, machte der Professor für Raumentwicklung und Landesplanung klar, wie Mobilität aussehen kann. Allerdings braucht es für eine solch umwelt- und ressourcenschonende Art der Fortbewegung eine entsprechende Infrastruktur, und an der mangelt es nicht nur in Kempen, sondern deutschlandweit.

Monheim machte deutlich, wo schon vor Jahrzehnten die Weichen falsch gestellt worden sind und wie es möglich ist, eine Verkehrswende herbeizuführen, um schlechte Luft, Stress oder Staus zu verhindern. „Die Verkehrswende beginnt im Kopf“, betonte Monheim. Nur wer für sie offen ist, kann sie auch mit umsetzen. Der Professor erinnerte an das Bahnnetz, das 1920 in Deutschland so dicht war, dass alles gut erreichbar war. Ab 1960 setzte das Schrumpfen ein.

Im Laufe von 40 Jahren entfielen 12 500 Kilometer Schiene. 23 Prozent der Bahnhöfe wurden geschlossen, 51 Prozent der Weichen und Kreuzungen kamen weg, 82 Prozent Privatgleis­anschlüsse für Unternehmen wurden aufgegeben. Dafür wurden wie wild Straßen gebaut. Der einst flächendeckend im Einsatz befindliche gelbe Postbus, die roten Bahnbusse – alles fehlt. „Das Rad war bis in die 50er-Jahre das dominierende Fahrverkehrsmittel in den Städten und auf dem Land“, sagte Monheim. Dann aber kam das Autoland, wobei Monheim die Gebietsreform in den 1960er-Jahren mit ihrer Zentralisierung als die Voraussetzung dazu
bezeichnete.

Der Mitbegründer von „raumkom – Institut für Raumentwicklung und Kommunikation“ betrachtete die Verkehrswende von allen Seiten. Die Politik sei genauso gefragt wie Arbeitgeber, die Anreize für Mitarbeiter schaffen könnten, damit öffentliche Verkehrsmittel wie auch das Rad stärker genutzt werden und Fahrgemeinschaften ein Trend werden. Immerhin schaukeln täglich 160 Millionen leere Autositze durch Deutschland. Das E-Auto bezeichnete der Professor als Placebo.

ÖPNV soll geänderte Zeit-
und Raummuster bedienen

Vielmehr ginge es darum, das geänderte Zeit- und Raummuster der Menschen durch den Öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV) zu bedienen. „Kempen hat kein vernünftiges Bussystem. Der bestehende Ein-Stundentakt geht nicht. Das ist so, als hätte jeder zehnte Haushalt nur eine Steckdose. Wo bleibt der Stadtbus? Das ist eine klassische Aufgabe der Stadtwerke. Sie müssen mit einem dichten Takt und mehr Haltestellen Mobilität schaffen“, sagte Monheim. Die Kombination von Verkehrsmitteln, bei denen Anschlüsse funktionieren und keine komplizierten und teuren Tarife ein Hindernis darstellen, sind gefragt. Ein integraler Taktfahrplan sichere Effizienz, betonte der 73-Jährige. Der Ausbau von Fahrradstraßen und Radschnellwegen ist ebenso ein zentrales Thema der Verkehrswende wie der Ausbau von Netzverbindungen für Fußgänger.

Laut Monheim hat Kempen Potenzial. Optimale Startbedingungen lägen vor, es müsse nur weiter daran gearbeitet werden. Und letztlich müsse jeder Einzelne mithelfen. In Sachen Nahmobilität griffen die Menschen für Kurzstrecken nach wie vor auf das Auto zurück, und darauf müsste verzichtet
werden.