Schüler forschen über Zwangsarbeit

Ein Projekt an der Städtischen Gesamtschule führt die Schüler zurück in die NS-Zeit.

Foto: Red

Nettetal. Tagsüber arbeiten ohne Lohn, abends zum Schlafen ins Kriegsgefangenen-Lager in Breyell-Fongern, morgens wieder raus auf den Hof der Bauernfamilie Syben: Dobrosav Markovic war Zwangsarbeiter. „Er dürfte einer der letzten noch lebenden Zeitzeugen sein, die Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg im heutigen Nettetal waren“, sagt Julietta Breuer, Lehrerin der Gesamtschule Nettetal. Auf die Spur des heute 98-Jährigen kam sie beim Projektkurs „ZwangarbeiterInnen 1939 — 1945 in Nettetal und der BRD“.

Markovic stammt aus Jugoslawien, kam als Kriegsgefangener über Bocholt, Krefeld und St. Tönis nach Fongern. Dort wurde er ab Januar 1945 in einem Kriegsgefangenenlager mit 18 anderen in einem Zimmer untergebracht und zur Arbeit in der Landwirtschaft eingeteilt. Während die Bevölkerung bei Luftschutzalarm in die Keller flüchtete, mussten die Kriegsgefangenen draußen bleiben. Die Lehrerin dokumentiert: „Bauer Syben holt ihn morgens vom Lager ab und bringt ihn abends zurück.“

Das Lager der Zwangsarbeiter war in einem Fabrikgebäude an der Straße, die heute Metgesheide heißt. „Allein in Breyell und Umgebung haben wir 140 Adressen nachgewiesen, wo Zwangsarbeiter eingesetzt wurden“, lautet ein Zwischenergebnis des Projektkurses. Die 14 Jugendlichen der Jahrgangsstufe zwölf forschen weiter bis Schuljahresende. Sie wollen mehr herausfinden über Kriegszeiten und Zustände, an die sich einige ältere Nettetaler noch erinnern dürften. Sie recherchieren im Kreisarchiv und in Nettetaler Stadtteilen, befassen sich mit Dokumenten, besuchen Gedenkstätten sowie Friedhöfe, auf denen Zwangsarbeiter begraben sein könnten.

Erneut arbeiten Gesamtschüler und Julietta Breuer die lokale Geschichte auf, setzen damit Zeichen. Vorherige Kurse erforschten die Geschichte der Juden in Nettetal, nahmen Kontakt auf zu Nachfahren. Die Aktionen führten zur Errichtung des Mahnmals in Breyell und zur Verlegung von Stolpersteinen vor Häusern, in denen Menschen jüdischen Glaubens wohnten.

Auch das aktuelle Projekt Zwangsarbeit soll nicht mit Facharbeiten enden, schon jetzt sind Dokumentation und Ausstellung geplant. Dafür werden Zeitzeugen gesucht. „Wer hat noch Erinnerungen an Zwangsarbeiter, daran, wo sie eingesetzt wurden und untergebracht waren, wer hat vielleicht noch Fotos oder Dokumente?“, fragen die Schüler. Für sie ist das Thema heute noch greifbar. Spuren und Zeugnisse sind im Stadtbild sichtbar: Industriegebäude etwa, in denen Zwangsarbeiter kaserniert waren, oder Straßennamen, die an Firmen erinnern, in denen Zwangsarbeit verrichtet wurde.

Für Gesamtschüler Thorsten Tack (18) ist es „spannend“ zu recherchieren, was „direkt vor der Haustür passiert ist“. Ihn und seine Mitschüler hat es „überrascht, dass so viele aus dem Osten Europas hier gearbeitet haben“. Nicht alle hatten so eine halbwegs erträgliche Zeit wie Markovic, der von Januar bis Mai 1945 auf dem Hof der Familie Syben arbeitete: „Nach Kriegsende bescheinigt er, dass er human behandelt worden ist“, so Breuer.

Dobrosav Markovic blieb nach dem Krieg in Deutschland, gründete eine Familie. Heute lebt er in einem Seniorenheim in Solingen, dort befragte ihn Julietta Breuer. Vermittelt hat den Kontakt die Familie, bei der Markovic damals arbeitete: „Über 70 Jahre stehen die Familien in freundschaftlichem Kontakt“, sagt Breuer. Was der ehemalige Zwangsarbeiter den Gesamtschülern heute mit auf den Weg gibt: „Man soll friedlich miteinander umgehen.“