Lesung im Schloss: Tschechows „Der Bär“

Tschechows „Der Bär“ feiert als Lesung bei den Schlossfestspielen Neersen Premiere.

Kreis Viersen. Ja, er ist ein Bär. Da trifft Jelena Iwanowna Popova genau den Punkt, wenn sie den Gutsbesitzer Smirnov beschimpft, der bei ihr Schulden eintreiben will, die noch ihr verstorbener Mann gemacht hat. Um den trauert sie seit sieben Monaten trauert und verschließt sich deshalb dem Leben.

Fein zeichnet der Autor Anton Tschechow die Figuren seines Einakters, der am Sonntagnachmittag als Gartenlesung bei den Schlossfestspielen Neersen als weitere Premiere gefeiert wurde. Leider im Ratssaal, da die Zuschauer auf die wunderbare Kulisse der Schloss-Rückseite mit Bogengang und Balkon wegen triefender Nässe verzichten wollten.

Doch die Geschichte kommt auch so authentisch rüber. Jennifer Sabel gibt die Witwe, die sich zwar in Trauer hüllt, aber unter betont zarter Spitze und — wie Sven Post als wunderbar ungehobelte Gutsbesitzer mit Stroh im Haar richtig bemerkt — gepudert. Immer mehr entdeckt sie, gemeinsam den Zuhörern, dass ihr Gatte diese Trauer eigentlich gar nicht wert war, denn er hat sie nach Strich und Faden betrogen und ihre Mitgift durchgebracht.

Smirnow wettert gegen sie, weil er das Geld dringend braucht, aber auch, weil er nach zahlreichen unglücklichen Liaisons fertig ist mit den Frauen — seit fünf Jahren hat er sich nicht mehr verliebt. Aber nur er kann es schaffen, sie aus ihrer selbstgewählten Lethargie zu wecken und ihre vergebliche Aufopferung zu unterbinden: Sie rast vor Wut und fordert ihn zum Duell, obwohl sie noch nie eine Waffe in der Hand hatte.

Diese Leidenschaft und dieser Todesmut beeindrucken ihn. „So eine Frau habe ich noch nie gesehen“, ruft er, ahnt, dass es vielleicht doch auf die Qualität und nicht auf die Quantität der Damen ankommt — und es gibt ein Happy End zwischen den beiden.

Sorgsam hat Veronika von Lauer-Münchhofen das Drama umgesetzt, so dass auch Thomas Kornmann als Popowas Diener Luka eine sehr gute Figur macht. Anfangs noch mit einem Auge im Textheft, wie es einer Lesung angemessen ist, in den hochdramatischen Szenen jedoch so frei, dass jeder sieht, wie der Schönen vor Erregung die Pistole in den Händen zittert.