Gebäude in Viersen Ehemaliges Gebetshaus wird Erinnerungsstätte

Viersen · Mehr als 80 Jahre nach der Zwangsenteignung des früheren jüdischen Bethauses an der Rektoratstraße gaben der Viersener und der Mönchengladbacher Stadtrat grünes Licht, sich an den Nebenkosten der geplanten Gedenkstätte zu beteiligen.

Rektoratstraße 10: In diesem Haus, 1862 erbaut, befanden sich früher die jüdische Schule und das Gebetshaus der Jüdischen Spezialgemeinde Viersen – bis die Nazis die Immobilie beschlagnahmten.

Foto: Martin Röse

Wer die Geschichte des unscheinbaren, grau gestrichenen Hauses an der Rektoratstraße nicht kennt, könnte es schlicht für ein unscheinbares, grau gestrichenes Haus halten. Eine kleine Bronzetafel an der Fassade unter dem weißen Lüftungsauslass fasst das Unfassbare zusammen. Zwei nüchterne Sätze sind es nur: „In diesem Haus befand sich die Synagoge der Jüdischen Gemeinde Viersen“, heißt der erste. Und unter einem Abbild der Menora, dem siebenarmigen Leuchter, bei dem jeder Arm einen Tag der Schöpfungsgeschichte symbolisiert, steht in kleinerer Schrift der zweite Satz: „Sie wurde 1940 durch Willkür enteignet.“

Entschädigt wurde die jüdische Gemeinde bisher nicht dafür, dass die Nazis in Viersen das Gebäude beschlagnahmten, es in den Besitz der Stadtwerke wanderte. Nun aber, mehr als 80 Jahre nach der Tat, haben sich die Städte Mönchengladbach und Viersen – die beiden größten Anteilseigner des Energieversorgers und Stadtwerke-Nachfolgers NEW AG – darauf geeinigt, Wiedergutmachung zu leisten. Nicht in Form einer Entschädigung, sondern einer Unterstützung.

Die Stadt Mönchengladbach wird zukünftig eine Gedenkstätte für die Jüdische Gemeinde Mönchengladbach-Viersen finanziell unterstützen. Der Rat beschloss einstimmig, dass ein noch zu gründender Förderverein für die Finanzierung der Nebenkosten sowie des Instandhaltungsbedarfs des historisch bedeutsamen Gebäudes „Rektoratstraße“ jährlich 10.000 Euro erhalten wird. Einen gleichlautenden Beschluss fällte auch der Viersener Stadtrat in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause. Und die NEW erklärte sich bereit,

Denn aus dem grau gestrichenen, unscheinbar aussehenden Gebäude, das von den Stadtwerken damals an einen Privateigentümer verkauft wurde, soll in naher Zukunft eine Gedenkstätte werden. Nicht nur für die NS-Opfer jüdischen Glaubens, sondern für alle von den Nazis verfolgten Menschen in Viersen.

Das Gebäude mit der heutigen Anschrift Rektoratstraße 10 wurde im Jahr 1862 erbaut. Nach dem Kauf durch Nathan Liefmann wurde es seit dem 11. März 1863 als jüdische Volksschule genutzt. Außerdem befand sich ein Betsaal in dem Haus. Am 13. März 1895 ging das Gebäude in das Eigentum der jüdischen Spezialgemeinde Viersen über.

Am 14. April 1942 – also zwei Jahre später, als auf der Gedenktafel angegeben – erfolgte die öffentliche Enteignung. Die Stadtwerke Viersen wurden Eigentümer und Nutznießer von Haus und Grundstück, bevor sie die Immobilie an private Nutznießer weiterveräußerten, die dieses Haus dann als privates Wohnhaus nutzten. Da die derzeitigen Eigentümer aufgrund ihrer persönlichen Lebensumstände zum Verkauf bereit sind, besteht erstmalig nach der Enteignung in der Zeit des NS-Regimes die Möglichkeit, dieses Gebäude anzukaufen und in Würdigung seiner historischen, kulturellen und religiösen Bedeutung künftig als Gedenkstätte und Ort der aktiven und öffentlich wahrnehmbaren Erinnerungskultur in der Region zu nutzen.

Die Jüdische Gemeinde Mönchengladbach-Viersen möchte dort als Ergänzung zu der Synagoge in Mönchengladbach dem kulturellen und historischen Teil der Erinnerungskultur für alle Opfergruppen der NS-Zeit eine Heimat geben. Sie arbeitet zurzeit an der Gründung eines Fördervereins für die Trägerschaft der Gedenkstätte, der dann auch Empfänger der Zuwendungen der beiden Städte werden sollte.

Für Mönchengladbachs Oberbürgermeister Felix Heinrichs (SPD) ist dies ein wichtiger Baustein in Bezug auf die Erinnerungskultur: „In der heutigen Zeit sind stärkere Ausprägungen von Nationalismus, Antisemitismus und allgemein eine zunehmende rechte und rechtsradikale Tendenz in Politik und Gesellschaft spür- und messbar“, sagte er nach der Entscheidung des Stadtrats. „Die Städte Mönchengladbach und Viersen beziehen mit demokratiestärkenden und antifaschistischen Statements und Demonstrationen eindeutig Stellung.“ Eine Gedenkstätte, die Ursachen, Wirken und Folgen des nationalsozialistischen Systems im lokalgeschichtlichen Zusammenhang und mit eindeutigem räumlichen Bezug darstellt, biete die Möglichkeit, präventiv tätig zu werden, einen dauerhaft wahrnehmbaren Ort der Erinnerungskultur zu etablieren und zugleich für „eine starke Gemeinschaft zwischen Mönchengladbach und Viersen“ einzutreten, so Heinrichs. Und Bürgermeisterin Sabine Anemüller (SPD) nannte die Einrichtung der Gedenkstätte „eine einmalige historische Chance“.

Dass beide Stadträte nun die Nebenkostenfinanzierung gesichert haben, ist ein wichtiger Türöffner für das Projekt: Mit der gesicherten Immobilie und dem Konzept für die Gedenkstätte können nun Fördergelder eingeworben werden, die für den Betrieb – beispielsweise die Personalausstattung – unverzichtbar sind.